User Experience im E-Commerce: Mit Gamification zu mehr Conversions?

Gamification wird oft missverstanden. Richtig eingesetzt verbessert es die User Experience von Onlineshops und sorgt für mehr Conversions.

Von Andreas Quinkert
30.04.2020
Veröffentlicht am 30.04.2020
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6 Minuten

Das erfährst du in diesem Beitrag:

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Was ist Gamification und wie hängt der Spieltrieb damit zusammen?

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Welche Missverständnisse lassen Anwendungen oftmals scheitern?

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Inwiefern könnte Gamification auch dem E-Commerce nutzen?

Hast du schon mal versucht, auf einem gepflasterten Bürgersteig ja nicht auf die Fugen zu treten oder während langweiliger Autobahnfahrten Kennzeichen zu erraten? Klar doch, so etwas in der Art haben wir alle schon gemacht – und zwar wieder und wieder. Denn alltägliche Situationen und Handlungen zu „spielifizieren“, liegt uns Menschen gewissermaßen im Blut.

Genau das macht sich nun die sogenannte Gamification bzw. Gamifizierung zunutze. Ziel ist es, mittels Integration spielerischer Elemente die Motivation bei als anspruchslos, eintönig oder zu komplex empfundenen Aufgaben zu steigern. Dies beispielsweise im Beruf: „Es geht nicht darum, Leute abzulenken. Sondern ihnen die richtigen Rahmenbedingungen in ihrem Job zu bieten, unter denen sie wachsen und das Beste aus sich herausholen können. Gamification schafft intrinsische Motivation, durch die sich Menschen verbessern wollen“, so Experte Roman Rackwitz im Interview bei uns.

Weitere Einsatzbereiche sind Bildung, Gesundheit, Fitness, Qualitätsmanagement, Recruiting etc. Hinzukommt das Online-Marketing – hier mit Hauptaugenmerk auf die User Experience und die Conversion Optimierung im E-Commerce.

Im Folgenden umreiße ich daher kurz den Grundgedanken von Gamification und widme mich dann der Frage, welches „klassische“ Missverständnis dem Ganzen (auch) im Online-Marketing oftmals noch einen Strich durch die Rechnung macht.

Was jedoch nichts an dem großen Potenzial von Gamification ändert. So gehen wir bei LEAP/ bis auf Weiteres davon aus, dass sich auf Onlineshops die Rahmenbedingungen für BesucherInnen de facto weiter verbessern lassen, wenn Gamification adäquat eingesetzt wird – zusammen mit anderen Maßnahmen und über weite Teile der Customer Journey hinweg bis hin zum Checkout-Prozess.

Hierzu gibts für dich am Ende des Beitrags einen kleinen Ausblick nebst Handlungsanreizen. Und wie schon bei unserem Kernthema „Entscheidungsarchitekturen & Nudging“ spielt die Psychologie bei all dem wieder eine maßgebliche Rolle.

Gamification im Schnelldurchlauf erklärt

„Gamification verbindet die Disziplinen der Neurowissenschaften wie Psychologie und Biologie mit der Kunst der Spielentwicklung“, heißt es in einer Slideshare von Roman Rackwitz. Als Trigger dient dabei der menschliche Spieltrieb. Dieser hat kulturelle und evolutionäre Wurzeln und ist bei Kindern sehr viel stärker ausgeprägt als bei Erwachsenen. Wichtig ist hier: Im Laufe der Jahre wird der Spieltrieb also nicht etwa komplett ausgemerzt, sondern wir kontrollieren und unterdrücken ihn lediglich „besser“. Gleichwohl lässt er sich zumeist relativ leicht (re)aktivieren.

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Auch Erwachsene haben einen Spieltrieb und leben diesen zeitweise aus

Kurzum, wir sind und bleiben Homo ludens, was übersetzt „spielende Menschen“ bedeutet. Nur eben in unterschiedlich starker Ausprägung. Ich komme weiter unten auf diese mitunter alles entscheidende Einschränkung zurück.

Jedenfalls setzt Gamification an genau diesem Punkt an, indem spieltypische Elemente in einen spielfremden Kontext übertragen werden, um die intrinsische Motivation bei Nutzern zu erhöhen und eine bestimmte Verhaltensänderung zu bewirken. So die gängige Definition.

Ein sehr … nun ja … treffendes, wenn auch etwas geschmäcklerisches Beispiel für den ausschlaggebenden psychologischen Kniff bei Gamification sind Fliegenaufkleber in Männer-Urinalen: Diese erhöhen die „Zielgenauigkeit“, wodurch sich der Aufwand beim Reinigen der Toilettenböden reduziert. Was letztlich ein Kostenfaktor ist.

In der einen oder anderen Form in wirtschaftlichen Zusammenhängen eingesetzt, lässt sich Gamification somit der Verhaltensökonomik zuordnen. Insofern wird sie für Betreiber von Onlineshops vor allem in Zeiten der Corona-Krise unseres Erachtens erst recht interessant, da eine bessere User Experience und mithin optimierte Conversion Rate den Umsatz steigern kann. Aber nur, wenn die jeweilige Umsetzung stimmt, versteht sich.

Diese Fehler führen oft zum Scheitern

Denn Gamification funktioniert natürlich insbesondere dann nicht, wenn das Grundkonzept dahinter nicht so recht verstanden wurde. Und wenn man einmal unken möchte, könnte man sogar sagen, dass ein falscher Ansatz in erfolgreichen Ausnahmefällen möglicherweise ja auch nur rein zufällig zum gewünschten Ergebnis geführt hat. Nun, man weiß es nicht.

Worauf ich hinauswill: Wer unter Gamification die Implementierung eines kompletten Spiels in einen übergreifenden Prozess bzw. Handlungsablauf versteht, der ist in der Regel auf dem Holzweg. Und auch Gewinnspiele oder dergleichen sind nicht Gamification. Ähnlich verhält es sich mit angeflanschten Punkte- bzw. Belohnungsprogrammen (extrinsische Motivation!), denn diese lassen sich aus Sicht von Roman Rackwitz nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen zielführend einbringen. Mehr dazu in seinem Video „Triple R Combo – one hack to improve Gamification Design“.

So oder so, solcherlei Missverständnisse führen zum Scheitern nicht weniger „Gamification“-Anwendungen und ziehen in der Fachpresse regelmäßig Abgesänge nach sich. Was nicht heißen soll, dass es manchmal – aus welchen Gründen auch immer – trotzdem irgendwie klappt. Das ist hier aber nicht der springende Punkt.

Vielmehr verkennen „Experimente“ wie diese, dass die Lust an Gamification primär über den zugrunde liegenden Spieltrieb getriggert wird. Und der zielt halt nicht aufs Gewinnen oder Belohntwerden ab. Sondern auf das Spielen an sich. Oder besser: auf die Aktivität als solche.

Im nächsten Schritt lassen sich die KPIs (Key Performance Indicators) priorisieren und die genauen Bereiche für dein Tracking definieren.

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Es ist der eigentliche Akt des Spielens, welcher den Menschen wichtig ist

Okay, und inwiefern spricht das nun gegen ganze Gaming-Sequenzen? Ganz einfach: Da der Spieltrieb von Person zu Person schwankt und mit zunehmendem Alter meist nachlässt, dürfen die Hürden nicht zu hoch sein, wenn Gamification mit Erfolg umgesetzt werden soll. Deswegen der Fokus auf spielerische Elemente. Dezent implementiert, macht dies den Zugang zum „beiläufigen Spaß als Motivationsbringer“ niederschwelliger.

Außerdem kann es auf User und Userinnen äußerst störend wirken, etwas erst bis zum Ende durchspielen zu müssen, ehe sie einen Schritt weiterkommen. Speziell in der Customer Journey und im Sales Funnel kann das für Onlineshop-Betreiber tödlich sein. Umso wichtiger ist es, die eigene Zielgruppe genauestens zu kennen und abschätzen zu können, wie spiel-affin diese ist. Und klar: ob Verspieltes überhaupt zum Unternehmen und zur Marke passt.

Zwei Kritikpunkte – und was man tun könnte

Womit ich rasch noch zwei zentrale Kritikpunkte an Gamification streifen möchte, bevor ich in medias res gehe. Die gibt es nämlich auch. So wird zum einen befürchtet, dass die Gewöhnung an spielerische Elemente zulasten der Motivation in anderen, nicht gamifizierten Bereichen gehen könnte. Das gilt es zu überprüfen. Und zum anderen schleift sich der psychologische Effekt (und damit der Spaßfaktor) nach und nach ab, wenn UserInnen stets ein und dieselben spielerischen Elemente angeboten werden. Wirksam wären sie somit in erster Linie bei neuen Onlineshop-Besuchern – was jetzt nicht unbedingt sooo schlecht ist.

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Bei glücklichen Usern ist die Warscheinlichkeit einer erfolgreichen Conversion definitiv höher

Ein Ausweg könnte zudem darin bestehen, gleich ein ganzes Set von Gamification-Gimmicks „random“ an verschiedenen, gleichermaßen geeigneten Touchpoints auszuspielen und beizeiten immer wieder neue zu entwickeln, um für die nötige Abwechslung zu sorgen. Eine Herausforderung für Kreative, Programmierer und Tester, sicher. Aber eine, die sich lohnen könnte.

Denn wenn man Nutzer und Nutzerinnen per Gamification in den vorherigen Phasen der Customer Journey überdurchschnittlich glücklich gemacht hat und dadurch besser an sich bindet, dürfte die Wahrscheinlichkeit steigen, dass sie später im Check-out nicht einfach so aus dem Prozess aussteigen. Also ohne vorher etwas zu kaufen. Hypothetisch gesehen spricht deshalb erstmal nichts dagegen, dass Gamification unmittelbar auf die User Experience einzahlt, was wiederum auf die Conversion Rate einzahlt. Und genau das werden wir für dich im Auge behalten.

Die Idee ist, das von unserer Agentur bereits nachhaltig bei E-Commerce-Kunden eingesetzte Nudging (das „Stupsen“ von NutzerInnen in die richtige Richtung) entweder mit Gamification zu kombinieren bzw. beides aufeinander aufzubauen oder aber das Ganze parallel einzusetzen. Im oben geschilderten Urinal-Beispiel ist das Erstere bereits der Fall – vermutlich aber mehr oder minder zufällig.

Würde man kombinierte Anwendungen jedoch gezielt so designen, wer weiß, was dann noch alles geht?

Zwar hat der Gamification-Experte Roman Rackwitz wegen der strukturellen Unterschiede und der unterschiedlichen Wirkweisen noch ein paar Bedenken, wie er in seinem Beitrag „Gamification vs. Nudge: Motivation, echt oder belohnt?“ schreibt. Aber man sollte das mal ergebnisoffen angehen und durchtesten. Im Idealfall findet man dabei einen neuartigen und noch effizienteren psychologischen Hebel für die Conversion-Rate-Optimierung im E-Commerce. Einen Versuch wäre es allemal wert.

Was übrigens auch für dich gilt: Mache dich in der Zwischenzeit doch einfach selbst weiter mit Gamification vertraut und überlege dir passende A/B-Tests.

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Andreas Quinkert

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