Am letzten Donnerstag fanden in Berlin zum vierten Mal die Content Marketing Masters statt. Wie immer hatten die Kolleginnen und Kollegen von Performics ein schönes Programm in zwei Tracks gezimmert. Auffällig auch diesmal: Viele SpeakerInnen sieht man sonst eher selten auf den einschlägigen Konferenzen – ein gutes Zeichen …
Dr. Martell Beck: „#weilwirdichlieben: Wie es der BVG gelungen ist, die Herzen der Fahrgäste zu erobern“
Eine der aufsehenerregendsten Werbekampagnen der letzten Jahre ist fraglos #weilwirdichlieben. Die BVG, nicht unbedingt das beliebteste Unternehmen der Stadt Berlin, hat es geschafft, mit genialen Inhalten von seinen Fehlern abzulenken und die Kunden auf seine Seite zu ziehen.
Doch warum eigentlich? Als ÖPNV gibt es doch eigentlich keine Konkurrenz und es könnte der BVG egal sein, wie beliebt sie ist? Hier setzt der Martell Beck, der geistige Vater der Kampagne, an. Denn Konkurrenz gibt es tatsächlich – zum Beispiel das Fahrrad und das Auto. Er wollte erreichen, dass es in Berlin zum guten Ton gehört, BVG zu fahren. Gar nicht so einfach, wenn man bedenkt, dass vor der Kampagne 477 % der Berliner die BVG nicht ausstehen konnten.
Er wollte diese Wahrnehmung also ändern und Sympathie für sein Unternehmen erzeugen. Und ihm war klar, dass das nicht mit Bildern von neuen Bussen und sanierten Bahnhöfen gelingen würde. Eine wirkliche Image-Kampagne musste her. Diese beruht auf drei Säulen:
- Das Markenversprechen: BVG = Berlin, sie kümmert sich und liebt ihre Fahrgäste
- Die Markenpersönlichkeit: Berliner Schnauze
- Die Markeninszenierung: authentisch, ungeschliffen, wie das echte Berlin
Und auf dieser Basis ging es los. Allein am ersten Tag wurden mit einem Guerilla-Ansatz 150.000 Menschen erreicht und ein epischer Shitstorm provoziert. Die Reichweite stimmte also; und danach ging es richtig los. Die sozialen Netzwerke wurden bespielt, Videos gedreht, Lieder geschrieben, Busse beklebt und Plakate aufgehängt. Alle Touchpoints wurden mit derselben schnoddrigen, aber liebenswerten Botschaft bespielt. Und vor Kurzem wurden sogar Adidas Sneaker verkauft.
Daraus folgt eine oft überregionale Bekanntheit, die vielleicht nicht der BVG direkt hilft, aber ihrem Eigentümer. Denn Berlin wird als coole Stadt dargestellt. Zudem ist die BVG nun tatsächlich deutlich beliebter: bei 10 % der Fahrgäste hat sich die Wahrnehmung des Unternehmens stark verbessert, bei weiteren 31 % immerhin verbessert. Ziel erreicht, kann man sagen.
Wenn ich jemals eine gerechtfertigte Opening Keynote gesehen habe, dann diese. Dr. Beck führte mit Humor und Sachkenntnis durch das Thema und ich kann ohne Übertreibung sagen, dass es sich hier um einen der drei besten Vorträge handelt, die ich bisher auf Konferenzen gesehen habe. Absolut großartig! Und einer von vielen Gründen, aus denen ich ein Interview mit Martell geführt habe.
Johannes Buzási: „Campaign Algorithms – ein neues Lead-Agentur-Modell“
Die Deutschen fühlen sich zu sehr mit Werbung bombardiert. Daraus folgt, dass Marken im täglichen Leben radikal gefiltert werden. Doch was ist die Reaktion eben dieser Marken auf diese Entwicklung? Mehr Budgets für das Marketing, um irgendwie zu den Brands zu gehören, die es durch den Filter schaffen.
Um dann wirklich erfolgreich zu sein, werden technische Fragen immer wichtiger:
- Wie funktioniert die IT?
- Was passiert mit dem CRM?
- Welche digitalen Skills brauchen Marketer?
- Welche Ökosysteme sollen bespielt werden?
- Welche Spezialisten werden benötigt?
- Wer steuert und verantwortet die Stakeholder wie Agenturen?
Klar wird die Entwicklung in Richtung Technik, auch wenn man sich anschaut, welche Firmen heutzutage das große Geld machen (und sich bei Konferenzen die Jachten im Hafen von Cannes leisten können) – sie stammen fast ausschließlich aus der AdTech-Branche.
Es müssen also drei Dinge zusammenarbeiten, um im Marketing wirklich erfolgreich zu sein:
- Werbung: die Emotionale und Kreative, die Ideen ersinnt
- Content: die Rationale, die einen thematischen Ansatz verfolgt
- Data: die Analytische, die festlegt, wie man die Inhalte steuert und kommuniziert
Campaign-Algorithms bauen nun darauf auf und sollen dafür sorgen, dass die passenden Nutzer angesprochen werden. Hier geht es dann um Dinge wie die richtige Zielgruppe, die passende Tonalität und Argumentationslogik sowie ein sinnvolles Budget.
Johannes brachte einige schöne Beispiele aus seinem Agenturalltag mit. Wichtig vor allem sein Appell, den Dialog mit den Nutzern als Chance zu betrachten (was ja auch die BVG vorgemacht hat).
Coskun Tuna: „Native-Advertising – Verortung im Content-Marketing“
Überall sehen wir Banner (wenn wir noch keinen AdBlocker haben), aber nirgendwo richtige Geschichten. Hier setzt Native Advertising an. Es bringt den Inhalt zum Konsumenten und ist ein Paid-Vehikel für das Seeding von Content. Im Großen und Ganzen gibt es drei Formate, in denen Native Ads ausgespielt werden können:
- Text-Bild-Anzeige: Diese befindet sich im Content und verlinkt auf eine neue Seite. Das ist zwar ein Bruch, das Format wurde aber nichtsdestotrotz vom Markt als Native Advertising angenommen.
- Native Advertorial: Früher hatten Gastbeiträge eine andere Formatierung, Ansprache und Tonalität. Heute werden sie angepasst und in vielen Fällen sogar von der Redaktion erstellt.
- True Native Ads: Ein Beitrag wird bei vielen Partnern gleichzeitig ausgespielt und durch eine Technologie an die jeweiligen Umfelder angepasst. Er erscheint auf der Seite und hat eine eigene URL, liegt aber nicht im jeweiligen CMS. So lassen sich Inhalte skalierbar verbreiten, sie können jedoch nicht ganz so gut angepasst werden wie bei individuellen Advertorials.
Aus diesen drei Ansätzen können sich Publisher und Werbetreibende dann das aussuchen, was am besten zu ihnen passt.
Coskun hatte am Morgen des Vortrags einen Migräneanfall und war während der gesamten Session auf Schmerzmitteln. Umso höher ist es ihm anzurechnen, dass er den Vortrag a) überhaupt gehalten hat und ihn b) so mitreißend gestaltet hat. Zum Thema Native blieben hier keine Fragen offen.
Stephan Heinrich: „Was B2B-Marketing mit gutem Whiskey zu tun hat“
Nur peinliche Deppen machen in den ersten Minuten einen Antrag. Man muss doch erst eine Beziehung aufbauen – sowohl im Leben uns auch im Marketing. Das funktioniert am besten über Content-Marketing, auch wenn dieses gar nicht so neu ist, wie viele immer tun.
1891 gab es das Ganze nämlich auch schon. Damals fing Dr. Oetker an, Backpulver zu verkaufen – angereichert mit den besten Kuchenrezepten, die angeblich von seiner Frau stammten. Auch der Guide Michelin ist ein gutes Beispiel. Warum bringt ein Reifenhersteller einen Restaurantführer heraus? Damit die sich zu den Restaurants begeben und dabei ihre Reifen plattfahren.
Content-Marketing ist also einfach gutes Marketing, bei dem auf eine Kommunikation aus Anbietersicht verzichtet wird. Wie bei gutem Whiskey geht es hier in mehreren Schritten zum Ergebnis:
- Anbau: Es muss nicht immer neu sein, sondern einfach gerade jetzt relevant. Dinge können sich in unterschiedlichen Formen wiederholen, solange sie die Zielgruppe zur Interessengruppe machen.
- Ernte: Über Content in den Dialog gehen und Reziprozität erzeugen. Die Währung im Marketing ist die Gefolgschaft.
- Auslese: Nach mehrmaligen Interesse an Inhalten kann man in die Kommunikation gehen. Aber nur mit den Nutzern, die perfekt passen. Man muss also die besten Tropfen aus der großen Masse herausfiltern.
- Reifen lassen: Manche Nutzer melden sich ab, andere kaufen – aber der Großteil reagiert gar nicht. Hier müssen die passenden Inhalte für den jeweiligen Stand in der Customer Journey ausgespielt werden.
Insofern hat Content-Marketing dann doch etwas mit gutem Whiskey zu tun.
Einige kontroverse Thesen hatte Stephan Heinrich im Gepäck (z. B., dass man den Newsletter nicht mehr so nennen sollte). Auch dank seiner inspirierenden Vortragsweise hat sicher jeder etwas mitgenommen.
Rita Orschiedt: „Alles muss sich ändern! Wie man junge Zielgruppen erreicht“
Junge Leute wollen vor allem interagieren. Wir müssen uns also überlegen, wie wir sie in unseren Content einbeziehen können. Dabei ist es oft am sinnvollsten, große Themen in viele kleine, erlebbare Sachen runterzubrechen. Diese verbreiten sich am besten und verhindern den TL;DR-Effekt.
Um eine wirklich gute Story zu haben, braucht es dabei vor allem diese Dinge:
- Mehrwert, Timing und Kreativität
- Identität, Teilbarkeit und Engagement
- A/B-Testing, Labelling und Distribution
Darüber hinaus ist es gut möglich, dass gerade für die junge Zielgruppe große, bekannte Influencer nur noch bedingt eine Rolle spielen werden. Sie könnten durch Micro-Influencer abgelöst werden – sofern die Marken es schaffen, die zahllosen potenziellen Botschafter gezielt für Mundpropaganda zu nutzen. In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, die Community auch nach einer Kampagne immer weiter zu betreuen.
Ein schöner Blick auf die Wünsche und Abneigungen in der jungen Zielgruppe von einer, die es wissen muss.
Verena Hubertz: „Die Evolution von videobasiertem Content-Marketing anhand der Kitchen Stories-Journey: Ein Rück- & Ausblick“
Die Kitchen Stories sind eine Erfolgsgeschichte. Sie setzen auf Video-Inhalte, weil niemand mehr lesen möchte. So können sie schwere Dinge einfach zeigen, anstatt sie umständlich zu erklären. Die drei Grundpfeiler sind dabei Content, Usability und Design.
Die App funktioniert auch deshalb so gut, weil die Entwickler von vorn herein einen engen Kontakt zu Apple und Google hergestellt haben. Die Finanzierung funktionierte zu Beginn über einen Freemium-Ansatz, der aber zugunsten von Branded Content eingestampft wurde. Weitere Monetarisierungsoptionen sind aktuell in Planung. Wichtig ist aber immer, dass die richtigen KPIs gemessen werden: Hier gelten vor allem das Engagement und der Nachkochindex, der sich auch wieder positiv auf die Reichweite in den sozialen Netzwerken auswirkt.
Ein spannender Case von zwei Gründerinnen, die einfach gemacht haben. Sicherlich ein Vorbild für viele andere, die mit Inhalten arbeiten möchten.
Martin Drust: „Ein anderer Fußball ist möglich“
Bei St. Pauli werden auch im Marketing die Dinge weniger geplant, sondern passieren einfach. Ist der Trainer bei einer Spielervorstellung im Urlaub, setzt sich halt ein Mitarbeiter eine Maske mit dessen Gesicht auf – und schon landet man in der internationalen Presse.
Das führt dazu, dass der Club seine Schlagzeilen eher mit anderen Themen generiert, als mit seinem Kerngeschäft Fußball. Dabei kommt auch viel User-Generated-Content zustande, da viele Privatpersonen und auch VIPs mit dem Merchandise der Kiezkicker herumlaufen (und sich dabei fotografieren).
Dieser Kommerz soll dabei helfen, den sportlichen Erfolg finanziell abzusichern und so die Werte des Clubs durch sportlichen Erfolg zu verbreiten. Denn im Endeffekt sieht sich St. Pauli nicht als Verein, sondern als Wertegemeinschaft. Mit Sponsoren sollen daher auch immer sinnstiftende Projekte gestartet werden, anstatt nur Geld gegen eine Bandenwerbung zu tauschen.
St. Pauli ist sicher einer der bekanntesten Vereine Deutschlands – aber aufgrund des Zusammenspiels von Werten und Kommerz auch nicht unumstritten. Es war sehr aufschlussreich, einmal die Innenperspektive aufgezeigt zu bekommen.
Pierre Du Bois & Simon Kaiser: „#Mehranzeigen | Branded YouTube-Channel: Vom Advertiser zum Publisher“
Ebay Kleinanzeigen hat mittlerweile seine eigene Sendung auf YouTube. Mit schrillen Farben und lauten Influencern soll die junge Zielgruppe angesprochen werden, damit diese nicht an kleinere Wettbewerber in Nischen verloren wird.
Das gelingt mit einer kontinuierlichen Storyline und einer direkten Ansprache. Auch die Kameraführung wird an das angepasst, was bei YouTube zum Standard gehört. Durch mehrfache Aufforderungen zur Interaktion werden die Kommentarspalten befüllt.
Thematisch bewegt man sich dabei in einem eng gesteckten Rahmen. Das ist gerade am Anfang enorm hilfreich, um sich zu fokussieren. Es werden die Leute angesprochen, die eine wirkliche Passion für das jeweilige Thema haben.
Es gibt dabei drei Kategorien, in die Videos fallen können:
- Hero: Das landet im Bestfall auf der Startseite und ist damit Leuchtturm-Content, den Nutzer beim Surfen finden und als interessant einstufen
- Hub: Hier greift man die beste Traffic-Quelle auf YouTube ab, nämlich die Suggestions. Dabei handelt es sich oft um Always-on-Formate im wöchentlichen Rhytmus, die Nutzer dazu bringen sollen, einen Kanal zu abonnieren.
- Help: Hier werden Fragen beantwortet – diese Videos erhalten ihren Traffic meistens über die Suche, wenn der Nutzer die Lösung für ein konkretes Problem recherchiert
Man rankt übrigens besser, wenn man in der Lage ist, die Nutzer auf YouTube zu halten. Klicken die Leute raus (zum Beispiel auf die von uns verlinkte Website), dann straft YouTube unser Video ab.
Das Videoformat selbst war so gar nicht meins, aber die Ideen und Strategien dahinter waren wirklich interessant. Komischerweise wird YouTube als Branding-Instrument und Traffic-Quelle noch immer unterschätzt.
Dr. Kerstin Hoffmann: „Content-Marketing und Change: Wege aus der Angst im Unternehmen“
Zum krönenden Abschluss gab es dann noch eine Keynote von Kerstin Hoffmann. Und sie hielt den Anwesenden erst einmal direkt den Spiegel vor. Denn nach Konferenzen kommt man immer mit 1000 Ideen zurück in die Firma – und wundert sich dann, dass die Kollegen nicht annähernd so enthusiastisch sind wie man selbst.
Der Grund hierfür in vielen Fällen: Angst. Angst vor Veränderungen. Einige typische Unsicherheiten in diesem Umfeld sind:
- Ist es nicht unbequem, sich so zu ändern?
- Verlieren wir durch User-Generated-Content die Kontrolle?
- Kostet das nicht total viel?
- Haben wir das Wissen überhaupt?
- Verlieren wir unser Gesicht, wenn etwas schiefgeht?
- Wenn wir Dinge in den Blog schreiben, werden sie dann nicht geklaut?
- Bleibt Zeit für die eigentliche Arbeit?
- Werden unsere Mitarbeiter abgeworben, wenn sie öffentlich Wissen zeigen?
- Ist ein fortlaufender Redaktionskalender überhaupt durchzuhalten?
- Wird uns das nicht überlasten?
- Was passiert, wenn ein Shitstorm über uns kommt?
Grundsätzlich gibt es zwei Gründe, um etwas zu tun: Entweder will man einen Schmerz vermeiden oder eine Belohnung erhalten. Wollen wir uns nun digitalisieren oder anderweitig wandeln, so müssen wir verstehen, dass der Status quo eine viel größere Gefahr für Schmerzen birgt, als es ein Veränderungsprozess jemals könnte.
Wenn wir die Hoheit über unsere Marke erlangen, dann wird es uns auf lange Sicht besser gehen. Auf dem Weg dahin können wir viele Ängste abbauen, indem wir alle Stakeholder mitnehmen, Annahmen durch Fakten ersetzen und eine offene Fehlerkultur etablieren.
Ein schöner Abschluss, in dem Kerstin deutlich zeigte, warum manche Unternehmen krampfhaft versuchen, im hier und jetzt (oder gar im gestern) zu verharren. Ihre Strategien, um dagegen vorzugehen, waren allesamt aus dem Leben gegriffen und sofort anwendbar.
Fazit
Ich war in diesem Jahr zum dritten Mal bei den Content Marketing Masters. Und wie immer war das Line-up absolut hervorragend. Die CMM schaffen es immer wieder, große Namen mit spannenden Geschichten zu bündeln und dabei einen Fokus auf die Praxis zu legen. Da ist es dann auch ok, dass im Nachgang eigentlich nie wirkliches Networking stattfindet, weil die meisten Besucher nach dem letzten Vortrag umgehend verschwinden. Wer einfach hilfreiche Inhalte sucht, sollte die Content Marketing Masters für das nächste Jahr auf den Plan nehmen.