Hallo, Susanne und willkommen bei LEAP/. Deine Mission ist es, Missverständnissen auf dem internationalen Parkett vorzubeugen. Kannst du mir, natürlich ohne Namen zu nennen, mal ein oder zwei Beispiele für solche Missverständnisse durch Kommunikation nennen?
Ich glaube, ein ganz akutes Beispiel ist gerade Trump. Er kommuniziert so, dass er in den meisten Teilen der Welt als extrem aggressiv wahrgenommen wird. Und wann immer Kommunikation für uns anders rüberkommt, als wir es gewohnt sind, entwickeln sich solche Missverständnisse.
Hier aber mal ein lustiges Beispiel: Ich kann mich gut daran erinnern, dass mal ein Hamburger Kunde von mir mit einem australischen Geschäftspartner beim Essen saß. Der Deutsche hat dann sofort mit den Business-Themen angefangen – und das machen die wenigsten Kulturen. Ich habe ihn dann unter dem Tisch leicht getreten, damit er das Thema wechselt. Da hat er sich dann daran erinnert, dass er ja Smalltalk halten sollte. Er suchte dann verzweifelt nach einem Thema und kam auf seine geliebten Hunde. Er sagte dann: „I am having dogs“. Da hat der Australier natürlich verstanden, dass er gerade Hundegeschnetzeltes (statt des eigentlichen Wiener Geschnetzelten) isst. Da war er extrem schockiert und angewidert. Dabei wollte der Deutsche natürlich nur sagen: „I have dogs“. So schnell kann es gehen, dass man sich missversteht.
Das passt zu deiner zweiten Academy bei uns, in der du dich vor allem auf das Thema monochrone vs. polychrone Kulturen fokussiert hast. Kannst du diesen Unterschied bitte nochmal erläutern?
Aber gerne. Wir kommen aus einer Kultur, in der ein Vertrag sehr wichtig ist. Der muss bei uns immer niet- und nagelfest sein. Dabei vergessen wir sehr schnell, dass wir aus einer sehr privilegierten Demokratie und einem Rechtsstaat stammen. In anderen Kulturen sind diese Voraussetzungen nur bedingt gegeben. Und je länger Kulturen ohne geschützte Institutionen überlebt haben, desto wichtiger sind die zwischenmenschlichen Beziehungen.
Da ist der Vertrag weniger wichtig, als dass ich mir erst einmal ein Bild von meinem Gegenüber mache. Daher kommen dann auch die für uns oft übergriffigen Fragen nach dem Privatleben und der Familie. Aber jemand aus einer Beziehungskultur möchte verstehen, wer wir sind und was wir für Hintergründe haben.
Außerdem haben wir in unserer Kultur ein Geburtsrecht. Viele andere Kulturen haben dagegen eine Geburtspflicht. Du wirst also als Sohn, Tochter oder Enkel von jemandem geboren und hast damit direkt zahlreiche Pflichten im Hinblick auf deine Kommunikations- und Verhaltensweisen. Du bist also deinem Umfeld verpflichtet.
Zum Beispiel hat eine indische Freundin von mir einen Deutschen geheiratet. Ihre Mutter war total schockiert, als sie vom Konzept der alleinerziehenden Eltern erfahren hat. Sie konnte nicht verstehen, dass jemand das macht oder sogar gerne macht. Sie fragte immer, wo in dem Fall die Väter, Mütter oder Geschwister sind. Und während ich mit ihr darüber sprach, liefen wir an einem Unfall vorbei. Ich habe dann sofort mein Handy gezückt, um die Feuerwehr zu rufen. Das verwirrte sie, da ich die Beteiligten ja gar nicht kannte.
Wir sind also eine monochrone Kultur, die im Bestfall das Allgemeinwohl im Blick hat. Die polychronen Kulturen schauen dagegen eher auf ihre Familie, ihre Gemeinde oder ihren Stamm – sind dort aber viel stärker einander verpflichtet und kommunizieren dort sehr respektvoll.
Was wären denn darauf aufbauend absolute No-Gos, die wir uns als Deutsche im Kontakt mit anderen Kulturen verkneifen sollten?
Man sollte immer wieder darauf achten, möglichst respektvoll mit dem anderen umzugehen. Dazu gehört auch, nicht direkt „nein“ zu sagen. Das machen wir in unserer sehr direkten Art, aber das kommt im Großteil der Welt nicht gut an und gilt als sehr unhöflich. Denn wir sagen Nein zu einer Sache, in polychronen Kulturen sagt man damit aber direkt auch Nein zu der Person. Wir sollten also eher vorsichtig agieren und vielleicht erst einmal ein bisschen beobachten.
Was sind denn für dich die besten Tipps, um zum Beispiel ein internationales Team in einem Unternehmen zusammenzubringen? Denn jeder soll ja seine Eigenheiten haben dürfen, ohne sich vor den Kopf gestoßen zu fühlen.
Mein Tipp ist immer, offen darüber zu reden. Viele von uns sind ja schon weit gereist und arbeiten in internationalen Teams. Dabei vergessen wir aber, dass wir im Hinblick auf unsere Kommunikation das Produkt jahrhundertelanger Erziehung in unserem Kulturkreis sind. Gerade bei internationalen Teams ist deswegen der andauernde Austausch total wichtig.
Bittet eure Kollegen also, euch darauf hinzuweisen, wenn ihr zu direkt rüberkommt. Ehrlichkeit ist da ganz wichtig. Das geht zum Beispiel auch mithilfe eines Code-Wortes. So können sich Kollegen äußern, auch wenn sie sich sonst nicht trauen würden. Und es regt auch dazu an, direkt über den Vorfall zu lachen.
Außerdem hilft eine empathische Kultur, in der Aussagen durch Fragen ersetzt werden oder entschuldigend getätigt werden. Also „Why don’t we have lunch“ statt „Wir gehen jetzt Mittagessen“ oder „I am so sorry I have to leave now“ statt „Ich gehe jetzt nach Hause“.
Positive Formulierungen sind auch ganz wichtig. Da ist ein gutes Beispiel „pro peace movement“ statt „Antikriegsdemonstration“.
Ein weiterer Unterschied ist ja, dass wir uns mit dem berüchtigten Smalltalk sehr schwertun. Warum ist das so?
Das liegt daran, dass wir nicht so besonders beziehungsorientiert sind. Wir haben nicht gelernt, im Geschäftsleben besonders persönlich zu kommunizieren. Daher ist für uns der Unterschied zwischen dem Privatleben und dem Berufsleben sehr wichtig – auch wenn diese Grenze mittlerweile immer fließender wird.
Wir wollen immer sofort in die Tiefe gehen und ein sinniges Gespräch führen. Smalltalk ist für uns dagegen oft zu oberflächlich und wir sehen es daher schnell als Zeitverschwendung an. Das ist aber nur unsere Wahrnehmung.
Und wie kann ich mich dazu bringen, Smalltalk anzunehmen und besser zu machen?
Eigentlich dient Smalltalk dazu, Beziehungen aufzubauen und Gemeinsamkeiten zu finden. Finden wir diese, werden wir uns gut verstehen. Und das können dann Kinder, Hobbies oder Kleidungsstücke sein.
Hier sind dann auch Komplimente ganz wichtig, um die Beziehung voranzubringen und eine positive Chemie zu entwickeln. Es gibt hier eine gute Regel: Ein erfolgreiches Gespräch ist eines, bei dem sich die Beteiligten danach gut fühlen. Fragt euch also, was ihr tun könnt, damit der Gegenüber sich danach besser fühlt.
Das kann mit Komplimenten gehen, aber auch, indem ihr Kritik positiv und konstruktiv verpackt.
Das sollten wir sicher alle mal versuchen. Ein ganz anderes Thema: Mir fällt auch gerade in unserer Branche immer wieder auf, dass die Leute Dinge selbst machen wollen. Wer also eine Website hat, übersetzt die gerne einfach selbst, weil man ja in der Schule Englisch gelernt hat. Was rätst du in solchen Fällen: Weiterbildungen wahrnehmen, externen Sachverstand reinholen oder sogar neue Mitarbeiter einstellen?
Ich glaube, das muss einfach immer wieder betont werden. Niemand sollte alles alleine machen, sondern sich immer auch externen Sachverstand holen. Nur so kann man auch lernen und sich inspirieren lassen. Außerdem spart man auch Zeit und Geld, wenn man es direkt richtig gut macht.
Wie kann man denn vorgehen, wenn man dafür einen externen Übersetzer braucht? Woran erkennt man, welcher Übersetzer wirklich gut ist – und welcher eher nicht?
Das ist total schwierig. Es muss natürlich jemand sein, der sich mit dem Thema identifizieren kann und die Inhalte auch versteht. Schlechte Übersetzungen kommen oft durch ein mangelhaftes Briefing oder Onboarding zustande. Man muss also auch hier Zeit investieren, um eine Beziehung zum Übersetzer aufzubauen. Ansonsten kann man nur schauen, wie viel Liebe ein Übersetzer in seine Arbeit steckt.
Das hört sich nach einem sinnvollen Vorgehen an. Kannst du mir zum Abschluss bitte noch die lustigste Anekdote erzählen, die dir aus deiner Karriere als Übersetzerin im Gedächtnis geblieben ist?
Es gab viele wirklich lustige Momente, aber nehmen wir doch ein relativ neues Beispiel:
Wir Deutschen haben es gerne, wenn wir schnell Feedback bekommen. Für uns ist es sehr schwer zu ertragen, wenn jemand nur zuhört, aber gar kein Feedback gibt. Genau diesen Fall gab es vor Kurzem bei einem hochrangigen Staatsbesuch.
Der internationale Gast gab unseren Vertretern absolut kein Feedback, nicht mal ein Kopfnicken. Ich wurde dann irgendwann gefragt: „Frau Kilian, versteht die Dame uns oder hat sie einfach nur Hunger?“
Mit dem uns eigenen Pragmatismus wurde dann dafür gesorgt, dass für die nächsten 12 Stunden immer Essen vor dem Gast stand. Aber sie hatte keinen Hunger, sondern einfach nur einen anderen Kommunikationsstil. Unsere Vertreter haben dann natürlich nichts aus ihr herausbekommen.
Das zeigt perfekt, woran es in der Kommunikation manchmal hakt. Vielen Dank für die spannenden Vorträge und das tolle Interview, liebe Susanne.