Hi Philipp, herzlich Willkommen bei LEAP/! Ich denke wir sind uns einig, dass es beim Content heutzutage nicht mehr um die reine SEO-Optimierung geht. Wir brauchen Content, der die persönliche Ebene anspricht. Was ist deine Meinung zu platten SEO-Texten?
Das ist eine gute Anfangsfrage. Ich komme ursprünglich aus dem redaktionellen Bereich, bin später erst zur SEO gewechselt, und habe daher einen etwas anderen Blick auf Webtexte. Die persönliche Nutzeransprache ist genau die Argumentation, mit der ich in die unterschiedlichsten Kundenprojekte reingehe.
Klassischer SEO-Content ist bei vielen vorbelastet. Es sind lange und hässliche Texte, die sich am Ende der Kategorie-Seite verstecken. Im schlimmste Fall tauchen sie sogar auf der Startseite auf. Und in vielen Kundengesprächen stelle ich fest, dass Webtexte noch immer als Texte mit möglichst vielen Keywords und hoher WDF*IDF abgespeichert sind. Das kann ich allerdings nicht mehr vorleben.
Der Google-Algorithmus ist so schlau geworden, dass das Nutzererleben in den Fokus gerückt werden muss. Bei vielen SEO-Faktoren geht es heute viel, viel mehr um den Nutzer. Und das muss sich dementsprechend auch im textlichen Bereich zeigen. Wenn ein Text leserlich ist, die Vorteile von Unternehmen und seinen Produkten besser herausstellt, dann ist das absolut verkaufsfördernd. Und das ist im Endeffekt das, was wir als Unternehmen erreichen wollen – Keine langen, hässlichen Texte am Ende einer Kategorie-Seite. Dementsprechend sage ich im Kundengespräch häufig: Ja, ihr müsst, um den Umsatz zu steigern, den Nutzer in den Fokus stellen. Plumpe SEO-Texte ziehen nicht mehr.
Ich bin auch mit dem Aufbau eines Onlinemagazins in die Marketing-Branche eingestiegen. Passende Texte zu schreiben fiel uns hier nicht schwer. Allerdings hat es häufig sehr viel Zeit gekostet, die Texte mit Bildern, Infografiken oder sogar Videos zu unterstreichen. Wenn man diese nicht gerade selbst erstellt, sind es allerdings oft Bilder, die man anderswo auch zu sehen bekommt. Welche Rolle spielt das visuelle für dich, um ein tolles Gesamtbild für den Nutzer zu bauen?
Durchaus eine sehr, sehr wichtige Rolle. Viele starke Marken haben häufig eine eigene Produktion für ihre Bilder. Wenn man das allerdings nicht hat, muss man sich etwas mehr anstrengen. Das Unternehmen könnte mit Freelancern zusammenarbeiten und so individuelle Videos, Bilder oder Audioformate produzieren. In unserer mobilen Zeit sind wir viele unnötige Formate gewöhnt und haben eine kurze Aufmerksamkeitsspanne. Unseren Content müssen wir daher unbedingt aufwerten. Blanke Texte sind nicht mehr ansprechend und oft die letzte Wahl für Websitebesucher. Im besten Fall sind Texte also interaktiv und unterhaltend. Bilder, Videos, Infografiken etc. helfen dem Leser auch dabei, Informationen schneller zu erfassen.
Hast du Erfahrung damit gemacht, lange, redaktionelle Texte zusätzlich einsprechen zu lassen? Sodass es zu einer Art Podcast wird? Damit wären die Texte auch Menschen zugänglich, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht zum Lesen kommen.
Als Konsument habe ich damit Erfahrungen gemacht. Besonders wenn ich mobil unterwegs bin, bekomme ich hin und wieder das Angebot, mir einen Text vorlesen zu lassen. Oft sind das sogar echte und keine computergenerierten Stimmen. Hier kann man die Vertonung also durchaus gut mitverfolgen. Ich habe meine Kopfhörer mittlerweile immer mit dabei und für unterwegs ist eine Audioversion sehr praktisch und natürlich auch bequemer. Als Konsument finde ich das durchaus sinnvoll. Aus der Content-Marketing-Sicht habe ich den Vorteil, dass ich zusätzliche Streaming Dienste oder Audiokanäle bespielen kann.
Du sprichst gerade weitere Kanäle und damit unterschiedliche Touchpoints mit potenziellen Kunden an: Wo kommen deiner Erfahrung nach noch Kunden her, abgesehen von der Google Search? Hast du eine Art Geheimtipp, auf welchen Wegen man seine Zielgruppe noch ansprechen kann?
Es ist sicher kein Geheimtipp, aber ich würde dazu raten, auf möglichst vielen Kanälen präsent zu sein – direkte Messages, E-Mail-Marketing, Social Shares. Wenn ich das bei uns beobachte, sehe ich Traffic, der von einer total unerwarteten Plattform wie Twitter oder Pinterest kommt. Auch Seiten, die man zwischenzeitlich vergisst, können Touchpoints bieten. Obwohl man hier keine große Reichweite aufgebaut hat, ist der Traffic plötzlich da. Und wenn ich das bemerke, kann ich mir später anschauen, welcher Content von meinen Nutzern distribuiert wurde. Ich werde immer wieder überrascht, wie viele Kunden über Empfehlungen auf unsere Website kommen. Das Stichwort ist guter Content.
Das spricht dafür, auf vielen verschiedenen Plattformen immerhin ein wenig Content anzubieten. Musst du, wenn du Kunden solche Konzepte vorschlägst, viel Überzeugungsarbeit leisten?
Ja, gerade wenn es grundlegend darum geht, von reinen SEO-Texten wegzukommen. Hier muss man sehr viel argumentieren, denn allein das Erstellen neuer Texte für die Website ist anfangs mit einer Menge technischem Aufwand verbunden. Wenn dann neue Content-Formate hinzukommen, kostet der Entwicklungsaufwand viel Zeit und auch Geld.
Eines der Top-Argumente als SEO ist das Ranking durch positive Nutzersignale. Starke Marken können hier ihre eigene Brand mitschweben lassen. Das Ziel ist es, eine positive Erfahrung direkt mit der Marke zu verbinden. Dieses positive Erleben sollte dann auch mit den Informationen und dem Content gefühlt werden.
Wenn ich das erklärt habe, ist mein finales Argument, dass wir so viele tolle Texte schreiben können, wie wir wollen, es uns aber nichts bringt, wenn sie nicht gelesen werden. Sie müssen also zusätzlich mit Bildern, Videos etc. aufbereitet werden.
In das zweite Argument möchte ich kurz einhaken. Ich denke, viele Unternehmen, die zu einer Marke werden wollen, haben oft Schwierigkeiten, diese positive Erfahrung und seine Verbreitung zu messen. Hast du wertvolle Tipps, wie man das machen kann?
Ja, ich habe zwei unterschiedliche Herangehensweisen.
- Um die Nutzererfahrung zu testen, kann man zum einen eine standardisierte Textwüste einem aufbereiteten Text gegenüberstellen. Jeder Content sollte dabei ein Ziel wie eine CTA zum Produkt, einer Facebook-Gruppe oder einem Formular etc. haben. Man stellt einen langen Text mit CTA einem aufbereiteten Text mit derselben CTA gegenüber. Im Ergebnis können wir vergleichen, wo sich die Nutzer länger aufgehalten haben und wo dem CTA nachgegangen wurde. Davon kann man am Ende ableiten, wie die User Experience ausfällt. Dann kann man sich an KPIs wie die Micro Conversion herantasten.
- Die zweite Möglichkeit ist, das Markenwachstum generell zu beobachten. Content-Marketing trägt dazu bei, dass eine Marke stärker wird, also zum Beispiel das Marken-Suchvolumen oder die Direktzugriffe auf die Seite gesteigert werden. Allerdings ist das mit Vorsicht zu genießen, da hier auch alle anderen Kanäle drauf einzahlen. Insbesondere Social Advertising oder Ähnliches, die genau die gleichen Ziele verfolgen.
Super, danke. Nun machen wir einen kleinen Schwenker zur Wahrnehmung der digitalen Welt. Bislang ist die Content-Experience auf die zwei Sinne Sehen und Hören ausgerichtet. Nun gibt es Produkte, bei denen auch andere Sinne sehr, sehr wichtig sind. Wir haben schon kurz über Whisky gesprochen. Gerade beim Whisky ist nicht nur der Geschmack, sondern auch der Geruch verdammt wichtig. Kannst du aus den Erfahrungen mit eurem eigenen Projekt tasting.de berichten, wie man es hinbekommt, mit gutem Content alle Sinne online erlebbar zu machen? Whisky ist nur ein Beispiel. Parfum wäre noch ein anderes.
Das ist eine große Herausforderung. Natürlich kann man einfach versuchen, über die einzelnen Duftnoten oder Geschmacksnuancen zu schreiben. Das Problem ist allerdings, dass der Konsument vielleicht mit diesen einzelnen Begriffen gar nichts anfangen kann. An der Stelle kann man versuchen, die Begriffe mit bekannteren Geschmacksnuancen oder Duftnoten aus dem Alltag in Relation zu setzen. Die Vergleiche könnten es den Lesern einfacher machen, Verbindungen herzustellen. Man kann auch mehrere Formen einbinden, indem man per Mouse over Begriffe weiter erklärt und greifbarer macht. Ggf. öffnet sich damit eine kleine Infobox oder ein kurzes Video, der das Produkt noch mehr in den Alltag einbindet. So wird es erlebbarer. Das ist an der Stelle auch Content Creation, der zum Beispiel rund um die Produktdetail-Seite oder die Kategorie-Seite platziert werden kann.
Was ich auch noch spannend fände, aber selbst noch nicht ausprobiert habe, sind Videos über die Reaktionen eines Tastings einzubinden. Also Reaktionen auf Gerüche und Geschmäcker. Die Mimik zu sehen hat eine ganz andere Wirkung auf den Betrachter und macht das Produkt erneut greifbarer.
Sehr spannende Idee! Ich möchte jetzt noch mal ein anderes Thema ansprechen: Du hast anfangs erzählt, dass du im lokalen Verein politisch aktiv bist. Und im Politischen ist natürlich die Wahrnehmung von Content eine ganz wichtige Erfahrung. Vieles sieht oft nach plumper Parteiwerbung aus. Welche Möglichkeiten siehst du im Content-Marketing, um politische Ideen oder Diskurse nach vorne zu bringen?
Ich würde spontan sagen, dass man auf politischer Ebene zwischen zwei Sachen unterscheiden muss.
Das eine ist die emotionale Wahrnehmung.
- Mit welchen Attributen habe ich eine Partei im Kopf abgespeichert?
- Nehme ich sie als sympathisch wahr oder eher nicht?
- Ist sie für mich nahbar, oder nicht?
Auf dieser emotionalen Ebene kann man einige Guerilla-Aktionen starten. Ich kann auf Social-Media-Trends aufspringen und kurze Videos dazu posten. Mit Kommentaren immer wieder mit der Zielgruppe interagieren. Ein gutes Community Management macht das Unternehmen sympathisch und nahbar, es zeigt Persönlichkeit. Dafür muss ich natürlich wissen, welches Ziel verfolgt wird.
Auf der zweiten fachlichen Ebene kann ich ähnlich agieren.
- Wie kann eine Partei ihr Wahlprogramm inhaltlich vermarkten?
- Wie kann ich die komplexen Themen allen zugänglich machen?
- Können die fachlichen Inhalte ggf. über einen zielgerichteten Social-Media-Auftritt in den Alltag der Interessierten eingebunden werden?
Es ist unglaublich wichtig, am Zahn der Zeit zu bleiben und Trends der sozialen Netzwerke im Auge zu behalten. Politische Texte können schnell sehr komplex werden. Das gleiche Problem haben Unternehmen mit komplexen Konzepten bzw. Angeboten. Um überzeugen zu können, müssen die Informationen greifbar und leicht verständlich sein. Mit einem Wahlprogramm sollte zum Beispiel schnell klar werden, was der potenzielle Wähler erwarten kann. Ich nenne das “snackable Content” – also mit einfach formulierten Texten schnell auf den Punkt kommen und eine Message transportieren. Unverständliches Blabla hat hier keinen Platz.
Du hast anfangs den Verein Deine Stadt Spricht e.V. angesprochen, in dem du selbst aktiv bist. Wie geht ihr vor und was für Content-Formate nutzt ihr, um eure Diskussionspunkte an die Menschen zu bringen? Und warum?
Wir veranstalten viele Speaker’s Corner, die regelmäßig in Parks stattfanden. Normalerweise kommen 200 bis 300 Leute und diskutieren über drei oder vier politische Themen. Wir bauen kulturelle Aktionen ein, sodass zum Beispiel Bands auftreten oder ein Poetry Slam organisiert wird. Das Event soll Spaß machen. Durch COVID-19 finden die Events aktuell natürlich online statt. Doch damit haben wir den Vorteil, selbst Content produzieren zu können.
Das heißt, wir machen einen begleitenden Podcast darüber, wie die Veranstaltungen laufen. In einem Recap greifen wir die besprochenen Themen erneut auf und können die Veranstaltung den Leuten schmackhaft machen, die nicht anwesend waren. Wir erzählen ihnen von der coolen Atmosphäre, dass wir es uns auf Sofas gemütlich gemacht und live Musik gehört haben. Es gibt Drinks, keine Stuhlreihen. Während den Veranstaltungen drehen wir natürlich ein paar Videos mit, machen Fotos oder lassen die Redner:innen selbst auf unseren Social Platforms und der Website zu Wort kommen. Es gibt zum Beispiel kurze Interviews, sodass sich die Interessierten vorher informieren und schließlich aktiv am Event mitwirken können. Davon lebt unser Verein – dass die Leute mitdiskutieren und sich trauen, das Mikrofon in die Hand zu nehmen. Sich zu erheben und die eigene Meinung zu sagen. Davon lebt unser Verein und dafür brauchen wir auch diese entspannte Atmosphäre.
Wir versuchen unsere Events also mit Podcasts, Videos und Fotos nach außen zu tragen und damit die Hemmschwelle, zur Veranstaltung zu kommen, möglichst niedrig zu halten.
Das ergibt total Sinn und bringt auch auf unterschiedlichen Wegen Reichweite. Wir sind damit auch schon fast am Ende. Eine Frage hätte ich allerdings noch: Denkst du, dass solche Veranstaltungen auch nach der Pandemie noch die gleiche Rolle spielen werden wie zuvor? Oder bist du eher der Meinung, dass die Events jetzt, wo alles online seinen Platz gefunden hat, weiterhin online stattfinden können?
Ich denke, dass Events auf jeden Fall ihrer Rolle im Offline-Leben treu bleiben. Ich finde aber auch, dass wir die Events nachträglich immer mehr ins Digitale bringen können. Vielleicht läuft es auf Hybrid-Live-Events oder aufgezeichnete Events, die nachträglich online erlebt werden können, hinaus. Ich glaube, dass wir solche Kombinationen bald öfter sehen werden. Aber ganz auf die offline Events verzichten will ich nicht. Das kann ich auch nicht. Und ich glaube, dass sie dafür auch viel zu erlebnisreich sind, als dass das komplett wegfallen würde.
Das ist ein schönes Abschlusswort. Ich möchte nämlich auch wieder auf Konzerte gehen. Vielen Dank für den Einblick, Philipp.