Hallo, Nico und willkommen bei LEAP/. Auf welcher Basis suchst du dir denn die Start-ups aus, die du unterstützt? Denn gerade in der Medienbranche ist ja die Schere zwischen guten Inhalten, wettbewerbsfähigen Strukturen und ökonomischem Erfolg gerne mal etwas größer.
Also, wir versuchen aus den Bewerbungen, die wir so pro Batch bekommen, die Teams auszuwählen, die einen Markt adressieren, der groß genug ist, um auch langfristig vernünftige Umsätze generieren zu können, aber natürlich auch Technologie mitbringen, die dafür sorgt, dass das Unternehmen einen wirklichen USP entwickeln kann.
Das klingt jetzt sehr generisch, aber Team, Markt und Technologie ist ein Dreiklang, der für uns entscheidend ist. Wir bekommen Bewerbungen aus ganz Europa und Israel, das macht es für uns besonders spannend, denn oftmals wissen diese jungen Firmen gar nicht, welche Probleme in Deutschland schon seit Jahren aus welchen Gründen auch immer nicht gelöst wurden, sondern machen es einfach.
Die Spezialität unseres Accelerators ist natürlich unser Netzwerk, denn wir haben unsere Investoren ausschließlich in der Medienbranche selber, also Medienhäuser und Agenturen. So können wir passgenau die Start-ups mit etablierten Unternehmen verknüpfen und somit für erste Tests sorgen, aus denen die Start-ups dann Erfahrungen ziehen und in ihr Produkt einfließen lassen können, um den Product-Market-Fit zu verbessern.
Ich kann mir vorstellen, dass der Bedarf bei Medienhäusern da sehr groß ist. Wo siehst du denn aktuell die größten Chancen, etwas Neues zu schaffen, das wirklich gebraucht wird und das Potenzial hätte, den Markt aufzurütteln?
Witzigerweise sind wir ganz am Anfang mit genau der Herangehensweise an die Auswahl der Teams gegangen. Wir hatten ziemlich genaue Vorstellungen, was der Markt braucht. Und bei der Sichtung der Bewerbungen haben wir dann ganz andere Themen gesehen, die wir größtenteils überhaupt nicht auf der Uhr hatten. Das ist das wirklich Spannende an meinem Job: Wir sehen so viele unfassbar tolle Ideen, die von Start-ups realisiert werden, auf die wir selber nicht gekommen wären. Und das hilft natürlich auch den Medienhäusern, auch wenn es vielleicht nicht zu einer Implementierung und Nutzung eines B2B-Produktes kommt. Aber es gibt dann neue Impulse, Ideen, auf die man selber nicht gekommen wäre, Technologien, die unfassbar aufregend sind und diese Kombination sorgt für frischen Wind in den Teams in etablierten Unternehmen, die dann ebenfalls anfangen, neu über ihre Themen nachzudenken.
Aber, um auch mal auf deine Frage zurückzukommen: Derzeit finde ich alles interessant, bei dem es um smarte Content-Distribution geht, um Voice als Ein- oder Ausgabeformat und natürlich um XR-Formate. Dabei stehen Künstliche Intelligenz, Maschinelles Lernen und Natürliche Spracherkennung ganz oben auf dem Technologiebeipackzettel.
Das ist natürlich einer der großen Wachstumsmärkte, keine Frage. Aber um von dieser Zukunft den Bogen zur Gegenwart zu spannen: Du bist ja auch als Netzpolitiker eine starke Stimme und versuchst immer wieder, deine Partei bei diesem Thema auf einen sinnvollen Kurs zu bringen. Was ist hier dein Antrieb?
Digitalpolitik ist eine sehr anstrengende Sisyphus-Arbeit, bei der man nicht das Gefühl hat, dass es vorangeht, auch wenn es das tatsächlich tut. Wenn auch sehr langsam. Wir haben mit D64 vor acht Jahren einen Verein gegründet, der Menschen zusammenbringt, die progressiv denken, dem Digitalen aufgeschlossen gegenüber stehen und politisch aktiv sein wollen, aber eine Partei mit all ihren Strukturen, Personen und Traditionen nicht so attraktiv finden.
Wir verstehen uns als Lobby-Organisation für die gute Sache, also für ein freies Internet, für mehr Teilhabe durch Digitalisierung. Quer durch alle Parteien haben wir derzeit einen Riss, der leider in den letzten Jahren nicht weniger geworden ist, zwischen den Leuten, die das Digitale verstehen oder verstehen wollen und denjenigen, die spürbare Ressentiments pflegen und wenig Interesse daran haben, zu verstehen, was eigentlich anders ist. Also eigentlich wie in vielen großen Unternehmen auch … Da kommen leider immer wieder Gesetzesentwürfe und Gesetze zustande, die irgendwann mal gut gemeint waren, aber in der Umsetzung leider das Gegenteil dessen erreichen, was ursprünglich einmal intendiert war.
Ich kann mir vorstellen, auf welche Initiativen du anspielst. Welche Probleme siehst du hier?
Interessanterweise sorgen viele Gesetze nicht dafür, dass die Macht der großen Plattformen gebrochen wird, sondern sie festigen sie noch zusätzlich. Ein kleines Beispiel: Bei der DSGVO kämpfen Medienhäuser jeden Tag wieder um die Nutzer, die nicht im eingeloggten Zustand auf die Website kommen, während Facebook, Google und Co. so viele Lock-in-Effekte haben, dass die DSGVO keine negativen Auswirkungen hat. Medienhäuser müssen aber immer wieder sagen: „Hallo, wir kennen uns nicht, darf ich ein Cookie setzen?“ – da hilft Regulierung nicht wirklich.
Und auch bei der aktuellen Diskussion um Artikel 11 (Leistungsschutzrecht) und Artikel 13 (Urheberrecht) wird derzeit ein Konstrukt mit Uploadfiltern, die so nicht genannt werden, aber auf die es hinausläuft, und Lizenzen favorisiert, die für große Anbieter wie Google, Amazon, Facebook, Apple relativ leicht umzusetzen sind, für einen kleinen Anbieter aber unfassbar komplex sind. Allerdings liegt es in der Natur der Sache, dass bei Artikel 13 kein Filter so greifen kann, dass nicht zu viel blockiert wird, denn es gibt eben nicht die eine allumfassende Rechte-Datenbank für alle Inhalte. Könnte man wissen, wenn man sich mit dem Internet auskennt. Aber das ignorieren Politiker wie Axel Voss von der CDU gerne.
Das Leistungsschutzrecht hat sich in Deutschland als großer Unfug herausgestellt, daher halte ich nichts davon, es in der EU einzuführen. Es wird eben auch dann Unfug bleiben und keinesfalls den Medienhäusern neue Umsätze bringen. Medienhäuser müssen innovativer werden und an den Geschäftsmodellen kontinuierlich arbeiten, anstatt Regulierung zu forcieren, die für große Plattformen kein Problem darstellt, aber kleinen Anbietern das Leben schwer macht.
Ein Thema, das wir noch viel zu wenig diskutieren, ist in der Tat die Plattform-Regulierung, also die Frage, wie wir ein Ökosystem schaffen, in dem alle Akteure die gleichen Chancen haben und eben nicht GAFA immer größer und mächtiger werden und gleichzeitig die Marktchancen für alle anderen Anbieter aufgrund von Lock-in-Effekten immer schwieriger gestalten. Das ist eine Abhängigkeit, aus der wir uns befreien müssen, denn ansonsten ist der europäische digitale Binnenmarkt nicht der Wachstumsmotor der digitalen Entwicklung Europas, sondern die Resterampe für große Konzerne aus USA und China.
Wo siehst du denn realistische Möglichkeiten, um Plattformen zu regulieren bzw. neue zu schaffen, die Chance gegen die etablierten haben?
Dafür ist die EU die richtige Ebene. Wirtschaftsminister Gabriel hatte dazu bereits einen Grünbuch/Weißbuch-Prozess angestoßen, den allerdings kaum jemand mitbekommen hat. Die regulatorischen Möglichkeiten greifen wirklich erst auf EU-Ebene, aber da müssen Deutschland und Frankreich der Motor sein, sonst kommt da nicht viel.
Und natürlich muss es darum gehen, ein sogenanntes Level-Playing-Field zu schaffen, damit Marktteilnehmer nicht benachteiligt werden. Dabei kann es darum gehen, dass Lock-in-Effekte bereinigt werden oder dass Datenbestände anonymisiert mit anderen geteilt werden müssen, damit nicht nur große Akteure ihre KI-Systeme mit Trainingsdaten stetig verbessern können, sondern auch kleine Firmen, die nicht über derartige Datenmengen verfügen, bessere Angebote entwickeln können.
Dabei muss man natürlich immer aus der Sicht des Nutzers denken, der natürlich bequem ist und viele Lock-in-Effekte vor allem als Vorteil sieht. Das Thema ist unfassbar spannend, aber wenn man sich die Wachstumskurven der Plattformen in USA und China ansieht, dann stellt man fest, dass da Konstrukte entstehen, die eine unfassbare Marktmacht entwickelt haben und die dringend reguliert werden müssen.
Du sprichst den Nutzer an: Denkst du denn, dass die Mehrheit eine solche Regulierung überhaupt möchte? Denn oft wird die Freiheit des Marktes und auch ein Stück weit die Bequemlichkeit sicher ausschlaggebend sein, um dagegen zu argumentieren.
Tja, das ist in der Tat die Schwierigkeit. Viele Menschen haben einerseits das Gefühl, dass man von den großen Anbietern zu abhängig ist, gleichzeitig nutzt man gerne deren Produkte. Allerdings sollte für uns Europäer wichtig sein, dass wir auch weiterhin eine Rolle spielen in einem Markt, der derzeit von den USA und China dominiert wird, da wir eben anders mit dem Thema „freier Markt“ und auch dem Schutz des Individuums umgehen. Neben Regulierung gehört dann allerdings auch technologische Exzellenz dazu und viel mehr Unternehmertum. Da muss die EU dringend aufholen, da muss mehr in die Köpfe und die Firmen investiert werden.
Gerade die technologische Exzellenz – bzw. ihr gefühltes Fehlen – wird ja immer wieder diskutiert. Wo siehst du hier die besten Stellschrauben, um den Rückstand aufzuholen? Sollten auch private Investoren mehr Geld in die Digitalisierung stecken?
Innovation kann man so schlecht verordnen, sie entsteht am Rand und wird nur dann wirklich gut, wenn es eine Durchlässigkeit gibt hin zur Mitte. Das gilt für Unternehmen genauso wie für Politik und Gesellschaft.
Wichtig ist vor allem, dass mehr Geld ins System gepusht wird. Das gilt für Unis genauso wie für Startup-Ökosysteme und Unternehmen – wenn nicht in innovative Themen investiert wird, dann werden wir da auch keine Exzellenz hinzubekommen. Dabei kann es nicht darum gehen, dass EU und die einzelnen Staaten in große staatliche Gebilde ihr Geld kippen, sondern sie sollten gezielt in VC-Fonds investieren, die entsprechend näher an den Themen dran sind.
Natürlich muss weit mehr in der Wissenschaft getan werden als immer nur wohlfeile Büttenreden, denn ansonsten wandern weiterhin die guten WissenschaftlerInnen mit den Kompetenzen in den Schlüsseltechnologien der Zukunft ab in die USA oder nach China. Da muss dringend mehr Geld fließen. Es klingt natürlich platt, einfach nur mehr Geld zu fordern, aber das ist genau das, was für uns jetzt entscheidend ist. China und die USA investieren viel, viel mehr als die EU und daher nimmt der Abstand zu den beiden Ländern immer noch weiter zu.
Private Investoren dürfen auch gerne mehr in digitale Themen stecken anstatt immer nur in Immobilien. Wir haben da im Vergleich zu anderen Ökosystemen einen strukturellen Nachteil, da nicht genügend Kapital zurückfließt in das Startup-Ökosystem, sondern Kapital in herkömmliche Branchen investiert wird. Der Mittelstand ist unfassbar stark in Deutschland, muss aber auch verstehen, dass man nicht alles selber bauen sollte, sondern schneller an den Markt kommt, wenn man mit Startups zusammenarbeitet oder zukauft. Das würde viel Kapital zurück in den Markt spülen und diesen attraktiver machen für Investoren.
Das ist absolut sinnvoll! Du sprichst ja die Wissenschaft an und hältst auch immer wieder Vorträge an Universitäten. Wie siehst du die Rolle der Universitäten, in denen die Mühlen ja oft sehr langsam mahlen und digitale Studiengänge noch immer eher die Ausnahme sind?
Universitäten müssen viel mehr tun, um Studierenden das Gründen von Firmen zu erleichtern. Es kann ja nicht sein, dass wir das kreative und innovative Potenzial junger Menschen verschenken, weil Unis zu wenig dafür tun, dass aus Theorie auch mal Praxis werden kann. Und natürlich müssen Studiengänge entschlackt werden und agiler auf technologische Veränderungen reagieren. Ich erwarte eben auch, dass Themen wie Künstliche Intelligenz und Ethik viel breiter diskutiert werden, aber da kommt viel zu wenig für einen breiten gesellschaftlichen Diskurs. Ich merke allerdings, wie groß das Interesse bei den Studierenden an diesen Themen ist, wenn ich Vorträge an Unis halte.
Wenn das Interesse so groß ist, dann ist das ja schon mal die halbe Miete. Wenn du zum Abschluss in die Glaskugel schaust: Bist du optimistisch, dass Deutschland und Europa ihre Rolle in der digitalisierten Welt bald finden werden und die neidischen Blicke nach China oder in die USA bald ein Ende haben werden?
Ich bin grundsätzlich ein optimistischer Mensch und ich gehe natürlich davon aus, dass Europa vorankommen wird. Allein schon, weil jede nachwachsende Generation das Thema Digitalisierung anders und oft besser versteht, als es bei den bisherigen Generationen der Fall ist. Das heißt nicht, dass alles automatisch passieren wird, aber die Ansprüche an die Politik werden weiter wachsen und durch Druck entsteht dann eben auch was. Ohne Druck werden die Veränderungsprozesse zu langsam sein, daher gilt es für alle, die die Digitalisierung in Politik, Gesellschaft aber auch in Unternehmen, vorantreiben wollen, den Druck zu erhöhen, damit etwas passiert.
Das nervt durchaus, denn eigentlich sollten wir schon weiter sein, aber so ist eben: Nichts passiert von alleine, man muss auch was dafür tun.
Zum Glück haben wir Leute wie dich, die genau das tun! Danke für deinen wertvollen Input!