Hi, Martell und willkommen bei LEAP/! Mit der „Weil wir Dich lieben“-Kampagne habt ihr es bei den Berliner Verkehrsbetrieben BVG geschafft, ein Produkt zu emotionalisieren, das normalerweise keine oder maximal negative Emotionen hervorruft: den ÖPNV. Wie seid ihr damals auf die Idee gekommen, das überhaupt zu versuchen? Und was waren eure ersten strategischen Ansatzpunkte?
In der BVG herrschte schon immer die Idee vor, dass in diese Richtung etwas gehen könnte. Der wirkliche Auslöser war dann die Kampagne der Berliner Stadtreinigung: „We kehr for you.“
Die BSR hat es so mit witzigen Sprüchen geschafft, den herkömmlichen Müllmann in einen sexy Typen zu verwandeln. Das Unternehmen hat angefangen zu glänzen. Unser Ansatz war: Wenn es selbst die Stadtreinigung schafft, dann muss uns das auch gelingen. Allerdings waren unsere Voraussetzungen ungleich schwieriger.
Wenn ich am Abend nach Hause komme, meine Mülltonne leer ist und auf der Tonne ein cooler Spruch steht, dann ist der Müllmann für mich ein cooler Typ. Aber so richtig erlebe ich das Produkt ja nicht. Der BVG-Kunde kommt morgens im Regen in den Bus, alle sind nass und stehen eng beieinander. Da erlebt man das Produkt ganz anders – im Guten wie im Schlechten.
Wir haben uns überlegt, wie unsere Kommunikation aussehen muss. Der klassische ÖPNV sagt immer: „Fahre mit Bus und Bahn!“ und zeigt dazu Fotos von Bussen und Bahnen. Das ist sachlich und null emotional. Wir wollten weg von der Kommunikation über die Assets, die nur zeigt, was wir für tolle Sachen für die Fahrgäste gekauft haben. Auch die BSR-Kampagne erzählt nicht, dass sie den Müll am besten trennen oder die modernsten Fahrzeuge haben.
Daraus haben wir unsere Learnings abgeleitet:
- Zeige das, was die Menschen interessiert und nicht das, was dich interessiert
- Humor emotionalisiert auf sehr positive Weise
- Sei authentisch – Wenn du ändern willst, wie du wahrgenommen wirst, muss das neue Bild glaubhaft sein
Wir haben uns dann gefragt, wer wir eigentlich sind. Und Hand aufs Herz: Wir sind nicht so sauber, nicht immer pünktlich und haben teilweise sehr alte Fahrzeuge. 45 Prozent unserer Kunden mögen uns nicht. Das ist nicht Hochglanz, aber es ist ehrlich.
Und schon hatten wir unsere Optik: Wir sind shabby – und leben damit. Wir sind eher das verwackelte Handyvideo als der 4k-Film.
Dann kam die Frage nach unserer Tonalität. Und da blieb für uns nur die Berliner Schnauze. So sprechen unsere Fahrer und so sprechen auch viele Berliner. Nicht übermäßig höflich, sondern vor allem schlagfertig.
Und damit hatten wir die für uns richtige Mischung. Eine „Arm aber sexy“-Optik, die zu Berlin passt, aber zu München oder Düsseldorf nicht passen würde. Und dann haben wir eine Tonalität, wir haben ein Setting und wir haben Humor. Das sind die Stilmittel, das sind die Elemente, das sind die Zutaten, die es augenscheinlich braucht, um eine Kampagne zu starten.
Das war die Grundidee, die jetzt auch nicht völlig neu ist. Aber wir hatten einen Vorstand, der es von Anfang an geliebt und finanziert hat. Das hat uns die Freiheit gegeben, es auszuprobieren.
Soweit ich weiß, gibt es bei der BVG drei Vorstände. Wie lief es ab, die alle zu überzeugen und auch die finanziellen Mittel zu erhalten? Denn die Möglichkeit eines Imageschadens durch die Kampagne bestand ja durchaus.
Alle Vorstände hatten den Wunsch, dass wir ein cooles Unternehmen werden und waren der Meinung, dass wir gar nichts zu verlieren haben. Der Vorstand hat uns gefordert. Gefordert und gefördert. Und das ist eine einmalige Situation. Er hat uns unterstützt und hätte, wenn es in die Hose geht, auch den Kopf hingehalten. Und das hat den Ausschlag gegeben, dass wir es so machen konnten. Erfolg führt dann zu Vertrauen.
Zwar musste ich letztlich für jede einzelne Kampagne immer wieder kämpfen, weil wir Dinge außerhalb der Norm gemacht haben und sehr aufmerksamkeitsheischend waren. In solchen Fällen muss man immer wieder neu diskutieren. Aber das Vertrauen hat dabei geholfen, dass wir immer mutiger werden durften.
Ein gutes Beispiel ist da das Frauenticket. Zum Weltfrauentag haben wir ein Ticket auf den Markt gebracht, das für Frauen 21 Prozent günstiger war, weil sie eben 21 Prozent weniger verdienen als Männer. Aber wie passt das zum Landesgleichstellungsgesetz, schließlich ist die BVG ein öffentliches Unternehmen?
Wir haben uns also gesagt, dass wir die Grenzen des Gesetzes neu ausloten. Wir verstoßen nicht, wir interpretieren es neu. Das ist es uns wert, weil wir ein Zeichen setzen wollen. Wir sahen uns auf der moralisch richtigen Seite, weil ja niemand wollen kann, dass Frauen so benachteiligt werden.
Der Vorstand hat diese Mechanik verstanden und den Mut gehabt, uns zu unterstützen. Und wenn man sich so jedes Mal aufs Neue beweist, darf man solche Dinge beim nächsten Mal wieder machen.
Du sagst, dass du mit der Zeit auch die zahlenmäßigen Beweise erbracht hast. Kannst du mir sagen, was bei euch intern die Zahlen waren, an denen ihr Erfolge und Misserfolge im Hinblick auf Branding und Unternehmensziele gemessen habt?
Das sind verschiedene. Wir sind als Social-Media-Kampagne gestartet und da ist die Interaktion der zentrale Messwert für uns. Wir haben dann gesehen, dass etwa jeder Fünfte, der uns folgt, unsere Beiträge likt, teilt oder kommentiert. Das sind grandiose Zahlen. Der Grund dafür ist, dass wir augenscheinlich Content haben, der die Leute bewegt, der sie emotionalisiert, der sie zum Mitmachen anregt und an dem sie sich reiben.
Diese Interaktion ist nichts anderes, als dass sich jemand mit unserer Marke beschäftigt. Mit unserer Werbung – weil im Endeffekt machen wir ja Werbung. Und ein Fünftel war bereit, sich freiwillig mit unserer Werbung zu beschäftigen. Bei diesen sensationellen Werten mussten wir da weiter investieren.
Außerdem nutzen wir den Net Promoter Score. Da geht es darum, wie wahrscheinlich deine Kunden dich weiterempfehlen würden. Auf einer Skala von 1 bis 10 bedeutet alles unter 6, dass sie dich nicht mögen. Bei 7 und 8 stehen sie dir neutral gegenüber. Aber wer eine 9 oder 10 vergibt, liebt dich. Dann stellt man die 1 bis 6 der 9 und 10 gegenüber und erhält im Bestfall eine positive Zahl. Bevor wir angefangen haben, standen wir da etwa bei minus 17 – mittlerweile sind wir bei plus 11. Das zeigt, dass es uns gelingt, unser Image zu verbessern, ohne unser Produkt wesentlich zu verändern.
Zusätzlich achten wir auf die Verkäufe. Berlin wächst. Wir wachsen auch – und zwar schneller als Berlin. Das komplett der Kampagne zuzuschreiben ist natürlich Kaffeesatzleserei, aber weil alle Indikatoren durchweg so positiv sind, sehen wir da schon einen großen Einfluss der Kampagne.
Grundsätzlich kann ich auch sagen, dass die reinen Zahlen am Anfang der Kampagne dem Vorstand viel wichtiger waren als heute. Heute ist das Wohlwollen gegenüber der Kampagne in der BVG, in der Politik und in der ganzen Stadt so groß, dass eigentlich alle unsere Arbeit unterstützen.
Die Kampagne ist auch wirklich zum Allgemeingut in der Stadt geworden. Die Politik ist aber ein gutes Stichwort. Es sitzen ja, glaube ich, sogar Politiker in eurem Aufsichtsrat. Habt ihr die von Anfang an mit ins Boot geholt? Weil ich mir vorstellen kann, dass Politiker von so einer schnoddrigen Kampagne zumindest zu Beginn eher begrenzt begeistert waren.
Die Politik hat das gleiche Interesse wie wir. Sie möchten, dass die BVG von den Menschen geliebt wird, weil sie viel Geld in einen sozialverträglichen ÖPNV investieren. Daher haben wir uns gesagt, dass die Kampagne aus politischer Sicht ein Erfolg sein wird, wenn die Menschen uns toll finden. Der Wurm muss halt dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.
Es kann passieren, dass wir bei einzelnen Kampagnen vorher auf ausgewählte Politiker zugehen. Vor der Frauenticket-Aktion haben wir zum Beispiel unsere Aufsichtsratsvorsitzende Frau Pop darauf hingewiesen, dass da was kommt. Und als wir die BVG zum Weltkulturerbe erklärt haben, haben wir den Kultursenator mit ins Boot genommen.
Aber grundsätzlich stellen wir vor einer Kampagne keine Fragen an die Politik. Dort wird erwartet, dass wir einen verantwortungsvollen Job machen, und das nehmen wir auch für uns in Anspruch.
Kannst du dich noch erinnern, wann das erste Mal einer der führenden Stadtpolitiker auf dich zukam und dir positives oder negatives Feedback zu der Kampagne gegeben hat?
Da kann ich mich noch sehr genau erinnern. Ein ehemaliger Aufsichtsratsvorsitzender hat sich sehr darüber echauffiert, dass wir in Social Media so viele Flughafenwitze gemacht haben. Denn der Flughafen gehört auch zur Familie der öffentlichen Betriebe, und wir sollten unsere Lorbeeren bitte nicht auf Kosten der Brüder und Schwestern von der Flughafengesellschaft verdienen. Das haben wir verstanden und auch befolgt. Es gibt aber auch hin und wieder Lob, zum Beispiel für den gemeinsamen Sneaker mit Adidas und die positive Aufmerksamkeit für die BVG und die Stadt im Allgemeinen.
Daraus lernen wir: nicht immer fragen, sondern einfach machen. Zumindest wenn man sich sicher ist, dass man erfolgreich sein wird. Und ihr wart ja mit unglaublich vielen Bestandteilen der Kampagne erfolgreich. Wenn du jetzt zu deinem Abschied zurückblickst: Was war dein persönliches Highlight der Kampagne?
Da fallen mir mehrere Dinge aus unterschiedlichen Blickwinkeln ein. Einmal unser großer Durchbruch: das Video zu „Is mir egal“: