„Ich finde, die Marke wird viel zu oft vergessen.“ - Kerstin Majores im Interview - LEAP/
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„Ich finde, die Marke wird viel zu oft vergessen.“ – Kerstin Majores im Interview

Kerstin Majores spricht im Interview über digitale Events und die Relevanz der Markenbildung auch für das Onlihne-Marketing.

by Oliver Engelbrecht
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Über Kerstin Majores

Kerstin Majores ist freiberufliche Webstrategin und seit sechs Jahren selbstständig. Sie unterstützt ihre Kunden dabei, ihr Marketing und ihre Marke online strategisch aufzustellen, um diese online erlebbar zu machen. Dazu gehören sowohl große Unternehmen als auch Startups.

Hi Kerstin, willkommen bei LEAP/! Du bist ja seit Jahren als Freelancerin unterwegs und konzentrierst dich vor allem auf die Beratung. Wie kam es zu diesem Fokus? Willst du dir den Ärger ersparen, der entstehen kann, wenn man bei Kunden im Backend arbeitet?

Das  liegt weniger am Ärger, sondern  mehr am Umstand, dass ich es dann nicht mehr alleine abbilden könnte und eine Agentur gründen müsste. Das stand bisher nicht auf der Agenda – auch weil ich mich nie mit einem Plan selbstständig gemacht habe. Ich bin eher aus Versehen selbstständig geworden. 

Ich habe schon immer in der Kundenberatung als Projektleiterin in Agenturen gearbeitet. . Da habe ich gelernt, wie man berät. Als ich gekündigt habe, um mein Wirtschaftspsychologie-Studium zu machen, hat mich mein Chef überzeugt, daneben noch ein Gewerbe anzumelden. Und nun bin ich eben selbstständig und fokussiere mich dabei auf das, was ich am besten kann. 

Das höre ich in unserer Branche immer wieder, bei Freelancern, Agenturangestellten oder auch Inhouse-Leuten gleichermaßen: Dass sich spannende Jobmöglichkeiten oft echt zufällig ergeben haben. Liegt das deiner Erfahrung nach an unserer Branche oder ist das eher das Arbeitsleben unserer Generation?

Also ich glaube, es ist ein bisschen von beidem.  Vielleicht ist es auch der Marketer-Geist. Wenn du eine Affinität zu Unternehmertum, Wirtschaft, Marke oder Marketing hast, dann siehst du Chancen  eventuell anders. Du bist es gewohnt, schnell zu reagieren, wenn sich eine Möglichkeit auftut. Aber du hast schon recht, ich habe auch das Gefühl, dass diese Art der persönlichen Entwicklung in unserer Branche wirklich sehr häufig vorkommt.

Spannend, dass du das auch so siehst. Du nimmst im Online-Marketing ja auch eine Sonderrolle ein, weil du tatsächlich mal Marketing als Ganzes gelernt hast. Wie hat diese Ausbildung dich und deine Arbeitsweise geprägt?

Ja, genau. Ich habe das von der Pieke auf gelernt, richtig mit Marke, Markenbildung und allem drum und dran. Mein Ausbilder war ein Werber der alten Schule, die kennt man heute kaum noch. Das war eine unglaublich wertvolle Erfahrung und ich würde das jederzeit wieder so machen. Die Ausbildung zur Kauffrau für Marketingkommunikation  hat den Grundstein gelegt zu dem, was ich kann.

Ich finde, die Marke wird viel zu oft vergessen. Ich habe manchmal das Gefühl, die Online-Marketer kommen aktuell zum Thema Marke, wie die Jungfrau zum Kinde. Plötzlich ploppen überall diese großen Buzzwords Positionierung, Marke und Markenbildung auf. Ich denke darüber gar nicht nach, das ist für mich  selbstverständlich, dass  alle Maßnahmen auch auf die Marke einzahlen. 

Ich sehe das gerade bei dem einen Shop, den ich seit einigen Jahren auch in der Umsetzung betreue, wie das abhebt, weil wir langfristig an der Marke gearbeitet haben. Dass dieses Gesamtbild, einfach funktioniert – also das, was man im Studium als Marketing-Mix kennenlernt. Im Marketing-Mix gibt es den Kommunikations-Mix und wenn du dann in den Kommunikations-Mix reingehst, da sind wir mit dem Online-Marketing-Mix wirklich nur ein Krümel vom Kuchen. 

Da fehlt in unserer Branche manchmal das Gesamtbild oder man lässt Potentiale liegen, weil man zu stark den Fokus auf Einzelteile legt. Wir haben vor vier Jahren für den E-Commerce Kunden mit Printwerbung angefangen und esist unglaublich, wie sich das gegenseitig befruchtet und pusht.

Ich kann mir vorstellen, dass viele in der Branche das nicht sehen, weil sie oft eher zufällig ins Online-Marketing gerutscht sind und die angesprochene “klassische” Ausbildung eben nicht haben.

Ja, wahrscheinlich hat das einen Einfluss. Aber dann wäre es der Job des Marketingleiters, der ja die Marke führen muss, darüber hinaus zu denken und Online-Marketing mit dem Gesamtmix zu steuern. Dann fängt es an Spaß zu machen. 

Ich finde es schön, dass du Branding so wichtig findest. Weil gerade im Onlinemarketing sind wir oft so KPI-versessen, dass wir eigentlich nur kurzfristig denken.

Branding kannst du gut in Performance integrieren. Das schließt sich nicht aus. Irgendwie denkt man, man macht Branding ODER Performance. Wir machen seit Jahren beides, und das im E-Commerce, wo du direkt den Umsatz darauf zurückführen kannst. Ich finde es schade, dass das oft nichtmal versucht wird. Vielleicht fehlt hin und wieder auch schlicht das Wissen, “Marke” zu verstehen und sie zu bauen.  

Das Ads-Konto und die SEO-Regeln kannst du jemandem  einfacher beibringen bzw. dich reinlernen. Sobald es ins Kommunikative geht – und Branding  ist stark kommunikativ – geht es auch um Sprachgefühl. Um das Gefühl und die Wirkung, die Pixel erzeugen, die bunt aneinandergereiht, ein Bild ergeben. Wie wirkt das am anderen Ende des Bildschirms?  Das Erlebbar machen, wofür dieses Unternehmen steht. Es  digital zu übersetzen und dann auch noch in Performance umzuwandeln, in messbares Marketing, ist für mich hohe Kunst.

Wenn du mal auf die letzten Jahre zurückblickst. Gibt es eine Sache, bei der du sagst: „Meine Güte, das war die tollste Branding-Maßnahme, die ich je gemacht habe.“?

Da komme ich ein bisschen ins Schwärmen, weil das so ein Herzensprojekt ist. Das ist dieser Shop, den ich seit langem auf seiner Reise betreue. Wir launchen im Moment  für den Kunden die zweite Kollektion seiner neuen Eigenmarke und sind in dieser Woche in die Teaser-Phase gestartet.  Woran ich merke, dass es erfolgreich ist, was wir die letzten eineinhalb Jahre gemacht haben: Kennst du die Werbung „Gibt es da auch was von Ratiopharm?“? Wenn die Kunden anrufen oder via Social Media fragen „Kommt da eigentlich auch was von X?“. Wenn es gelingt , in so kurzer Zeit eine Marke mit Strahlkraft aufzubauen, die so ein Begehren weckt, dann waren die Performance- und Branding-Maßnahmen  gut. Wenn es sich direkt in Abverkauf und damit  in einer besseren Marge der Eigenmarke niederschlägt, und dadurch das Unternehmen nachhaltig sichert.

 Ja, hundertprozentig. Sowas ist super. Kannst du was sagen, wie ihr diese Marke aufgebaut habt? Oder geht das zu sehr ins Detail?

Es hat damit angefangen, dass wir vor eineinhalb Jahren einen Logo-Relaunch gemacht haben. Denn eine Brand braucht ein Erkennungszeichen und Shop-Logos sind häufig nicht die schönsten. Wir wollten den Shop und die Eigenmarke in einer Dachmarkenstrategie aufsetzen. Dafür musste erstmal ein neues Logo für den Shop her. Etwas eingängiges, etwas symbolhaltiges, etwas emotionalisierendes, etwas, das die Geschichte des Shops erzählt, womit sich der Kunde identifiziert. 

Das Ganze möglichst nah am Kunden, damit alles zur Positionierungsstrategie passt, die sehr bodenständig und sympathisch aufgestellt ist. 

Dann kam letztes Jahr das zehnjährige Shop-Jubiläum. Das haben wir in den Logo-Relaunch eingebunden. Wir haben im Jubiläumsjahr jeden Monat mit neuen Aktionen und Angeboten das zehnjährige Jubiläum gefeiert. Wir haben die Marke, den zehn Jahre währenden Weg und den Trust in die Marke ganz fest bei den Kunden verankert. Außerdem haben wir ganz stark auf Stammkundenbindung gesetzt und sind in dem Jahr nicht mehr so stark auf Neukundenakquise gegangen. Wir haben Printwerbung integriert, haben die Stammkunden abgeholt, die nicht so digital und nicht ganz so viel online auf sozialen Netzwerken unterwegs sind. Man vergisst gerne, dass eben nicht jeder kaufkräftige Kunde seinen halben Tag auf Instagram und Facebook verbringt. 

Anfang diesen Jahres folgte dann  die Einführung der ersten Kollektion aus der Eigenmarke mit einer emotionalen und nahbaren Kampagne. Wir haben die Kunden bei der Kollektions-Entwicklung mitgenommen, Einblicke gegeben, die Saisonalität beachtet und so richtig geteasert. Es war ein Produktlaunch, wie er im Lehrbuch steht. 

Alles zusammen hat dazu geführt, dass eineinhalb Monate nach der Markteinführung über 50 Prozent der Produktionskosten für die Eigenmarke eingespielt waren. Was für den Shop-Betreiber ein ganz großer Punkt war, weil man natürlich nicht wusste, wie die Kollektion ankommen wird. Da geht man ein extremes Risiko ein, wenn man selber produziert. Man muss sich ganz andere Mengen auf Lager legen. Also das ist wirklich eine kleine Erfolgsgeschichte. 

Ja, total spannend. Die Frage ist jetzt, wann du dich von Web-Strategin in Marketing- oder Brand-Strategin umbenennst?

Web-Strategin finde ich so eine schöne Wortneuschöpfung und Markenstrategen gibt es ja genug. Ich habe nicht vor, mich zu re-branden, aber ich hatte auch nie vor Leute einzustellen – und habe jetzt zwei Angestellte. Ich hatte auch nie vor, mich selbstständig zu machen. Also mal gucken, was noch so kommt. 

Das stimmt. Letzte Frage: Wir sind uns ja auch schon ein paar Mal auf Konferenzen über den Weg gelaufen. Welchen Stellenwert haben diese Veranstaltungen für dich und wie war in dem Sinne das letzte Jahr ohne Events für dich?

Auf rein digitale Events habe ich einfach gar keine Lust mehr, weil das ja schon mein Arbeitsalltag ist. Wie alle anderen habe ich Zoom-Calls und irgendwelche Video-Meetings. Ich finde es unglaublich anstrengend. Ich mag das Zwischenmenschliche auf Konferenzen. Ich gehe auf Konferenzen zum Netzwerken, um tolle Menschen kennenzulernen, um Inspirationen mitzunehmen. Ich war dieses Jahr auf der CAMPIXX und CONTENTIXX und habe ich mir eine ganze Woche im August gegeben, weil ich so ausgedurstet war, nach Conferencing. Von dem her hoffe ich sehr, dass es da wieder zurück zu den alten Modellen gehen wird. Ich hatte mir die SMX digital angeguckt, Anfang des Jahres. Du nimmst da nicht so viel mit. Es ist so super anstrengend. Das Netzwerken klappt halt einfach auch wirklich nicht so gut. Ich finde einem persönlichen Kontakt, dem kommt nichts gleich, was man digital abbilden könnte.

Vielen Dank für das spannende Gespräch, Kerstin!

This post was written by

Oliver Engelbrecht

Ich bin bei LEAP/ für Marketing & Communications zuständig und verantworte damit die Lead-Generierung und das Branding der Agentur. Zudem leite ich unser LEAP/ Magazin als Chefredakteur. Zuvor habe ich das SEO-Portal aufgebaut und geleitet.