Hallo, Julian und willkommen bei LEAP/. Bevor du als Trainer losgelegt hast, warst du ja ein erfolgreicher Wasserballspieler. Was hast du aus dieser Zeit für deinen heutigen Beruf mitgenommen.
Haha … ja so kann man das sehen … Ich habe Wasserball in der 1. Bundesliga gespielt, war Jugendnationalspieler und habe auch mit meinen Vereinen international gespielt.
Ich habe relativ viel mitgenommen, vor allem wie du mit Druck in Finalspielen umgehst, dich optimal vorbereitest und dann genau zum richtigen Zeitpunkt deine bestmöglichste Leistung abrufst. Hierbei liegt die Magie darin, die eigene Leistung vom Ergebnis zu trennen. Denn deine eigene Leistung kannst du beeinflussen, aber das Ergebnis ist außerhalb deines Machtbereiches. Mach dir keine Sorgen über das Ergebnis, sondern konzentriere dich auf deine eigene Leistung.
Ob jemand besser im Laufen ist als du und deshalb vor dir im Ziel ankommt, kannst du nicht zu 100 Prozent beeinflussen. Auch ob der Schiri pfeift oder nicht oder der Torwart hält oder nicht, liegt außerhalb deines Machtbereiches. Was du bestimmen kannst, ist deine Leistung – vor allem durch deine Vorbereitung. Diese Herangehensweise entstresst solche Situationen sehr und verhindert, dass deine Gedanken um Hypothesen über die Zukunft kreisen. Aber ich hab im Sport auch schlicht Hartnäckigkeit und Disziplin gelernt, weil ich es einfach gewohnt war, für mein langfristiges Ziel täglich zu trainieren. Das hilft dir sehr, wenn du ein eigenes Unternehmen aufbaust.
Wie kam es aufbauend auf diesen Erfahrungen dazu, dass ihr euch für das Thema Stressmanagement engagiert habt?
Das kam eher aus unserer persönlichen Geschichte heraus. Mein Bruder hatte vor einigen Jahren eine sehr starke Krise, in der ihm der ganze Stress zu viel wurde und gar nichts mehr ging. Er nahm innerhalb kürzester Zeit 20 Kilo zu, musste sein Studium unterbrechen, Wasserball pausieren und den Nebenjob kündigen. Das erlebte ich damals hautnah mit, und es veränderte direkt viele Dinge in meinem Leben. Ich sah, dass ich etwas ändern musste, wenn ich nicht langfristig die gleichen Probleme bekommen möchte. Ich hatte von ihm gelernt, wie man performt, diszipliniert ist und durchhält. Ich hatte aber nicht von ihm gelernt, wie man für sich selber da ist und wie man auf sich und seinen Körper hört.
Jacob ist dann wieder aus der Krise herausgekommen und hat sich seine Stressbewältigung von Null auf neu aufgebaut. Er hat sich angeschaut, wie das passieren konnte und dann daraus seine Schlüsse gezogen. Gleichzeitig hat er zum ersten Mal das ganze Wissen aus seinem Psychologie-Studium ins seinem Alltag angewandt. Ich habe dann auch angefangen, Psychologie zu studieren. Ein paar Jahre später hatten wir so viele spannende Strategien abgeleitet, die nicht nur Schutz vor Krankheiten und Krisen brachten, sondern auch mehr Leistungsfähigkeit und Spaß im Leben. Jacob wollte das nicht nur für sich behalten und hat Weiterbildungen und eine Trainer-Ausbildung besucht. Und direkt nach dem Studium hat er sich dann selbständig gemacht. Ein halbes Jahr später bin ich dazu gekommen und das hat super funktioniert.
Psychologie ist da natürlich das perfekte Studienfach. Worauf hast du dich dort fokussiert und was hilft dir heute noch im täglichen Leben und Arbeiten?
Das Psychologiestudium ist super breit und gibt dir überall Einblicke. Es hilft dir, ein Grundverständnis davon zu bekommen, wie Menschen „ticken“. Wie Reize wirken. Es beinhaltet aber vor allem sehr viel Theorie und wenig Anwendung für den Alltag. Wir haben es dann als unsere Aufgabe gesehen, diese Theorien in Strategien für das tägliche Leben umzuwandeln. Besonders hilfreich ist hierbei Mindfulness-Based Stress Reduction – MBSR. Also die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion. Aber auch von der positiven Psychologie nutzen wir sehr viel. Obwohl ich dazu sagen muss, dass das beides keine Kurse in der Uni waren und die Sachen wenn dann nur kurz angeschnitten wurden. Wir haben uns dann außerhalb der Uni sehr in solche Themen vertieft, in Studien eingelesen und eigene Weiterbildungen gemacht. Das ist vielleicht auch noch eine der wichtigsten Sachen, die man so im Psychologiestudium lernt: das Lesen und kritische Hinterfragen von Studien.
Wenn ich mich jetzt auf eine Sache festlegen müsste, die ich auch in meinem Alltag mache, dann ist das Dankbarkeit: Zettel und Stift nehmen und mindestens fünf Dinge aufschreiben, für die du dankbar bist! Spüre, wie du die Dinge plötzlich viel besser ins Verhältnis setzt und merke, dass das aktuelle Problem nur ein kleiner Teil deines Lebens ist! So schafft man ein super Gegengewicht zu den ganzen potenziellen Problemen im Leben und verändert echt langfristig sein Denken und seine Sichtweisen.
Wie habt ihr denn darauf aufbauend euren Ansatz entwickelt?
Wir haben natürlich das Rad nicht komplett neu erfunden. Dafür gibt es schon zu viele gute Strategien. Aber uns hat ein Dolmetscher für den Alltag der Menschen gefehlt. Das heißt, unser Ansatz ist eine Mischung aus dem besten theoretischen Wissen aus der Psychologie, MBSR, Strategien aus dem Leistungssport und den Sachen, die wir selber ausprobiert haben und die bei uns funktionieren (z. B. das von Jacob damals eigentlich nur für ihn selbst entwickelte TrackMyDay-System, welches mittlerweile all unsere Kunden nutzen). Das alles haben wir so runtergebrochen, dass du es in deinem Alltag einfach anwenden kannst, ohne viel Zeit zu verbrauchen …
Weil: Wenn wir eines nicht haben, wenn wir gestresst sind, dann ist es Zeit!
Uns ist wirklich wichtig, dass alles im Alltag praktikabel ist. Bevor wir Sachen weitergeben, hat sie mindestens einer von uns schon erfolgreich getestet.
Ihr habt uns ja einige wirklich sehr alltagstaugliche Strategien vorgestellt. Möchtest du deine liebsten Methoden einmal zusammenfassen?
Haha, ich liebe sie alle!
Aber ich kann dir mal ein paar Sofortstrategien geben, die man perfekt in stressigen Situationen anwenden kann, um sein Stresslevel zu senken:
- Sport – Eine der besten Strategien um, Stresshormone abzubauen. Achtung 1 > 0 ! Schon 10 Minuten Sport haben einen positiven Effekt und lohnen sich.
- Power Nap (10-20 Minuten schlafen) – Wecker stellen, Kopf auf die Arme legen und vom Energieschub im Nachhinein profitieren. Profis haben ein Kissen im Büro.
- Shaken – Springen, dabei den ganzen Körper ausschütteln und von der gewonnenen körperlichen und mentalen Lockerheit profitieren.
- Musik – Bring dich durch Musik in positive Stimmung. Höre deinen Lieblingssong, entfliehe kurz dem Alltag und merke, wie du schon wieder ganz anders an die Sachen rangehst.
- Dankbarkeit – Zettel und Stift nehmen und mindestens fünf Dinge aufschreiben, für die du dankbar bist! Spüre, wie du die Dinge plötzlich viel besser ins Verhältnis setzt und merke, dass das aktuelle Problem nur ein kleiner Teil deines Lebens ist!
- Natur – Ab in den Park oder Garten und die beruhigende Wirkung von Mutter Natur genießen.
- Atmen – Eine kurze Meditation oder einfach nur zehnmal tief durchatmen, schon senkst du dein Stresslevel innerhalb kürzester Zeit effektiv.
- Power Posing – Vor einen Spiegel stellen und sich selber so feiern, als ob man Gold bei Olympia gewonnen hätte (mind. für 15 Sekunden). Innerhalb kürzester Zeit schüttet der Körper Hormone aus und du bekommst einen Selbstbewusstseinsschub, der dich wieder ans Steuerrad setzt.
- Positive Menschen – Den besten Freund oder die beste Freundin anrufen und einfach über die Situation auszutauschen, wirkt manchmal Wunder.
- Lachen – Lachen ist der größte Feind des Stresses. Wenn wir Lachen, können wir nicht gleichzeitig gestresst sein. Also YouTube-Video an, mit Kollegen scherzen oder einfach nur lächeln und merken, wie Glückshormone Stresshormone fressen.
- Spaziergang – Kombiniere frische Luft und Bewegung und sorge somit für frische Gedanken und Sichtweisen.
- Perspektivwechsel – Fühlt sich die Situation wie eine Katastrophe an oder weißt du nicht weiter? Frage dich: Was würde dir dein 90-jähriges Ich raten und generell über die Situation denken-
- Essen und Trinken – Manchmal sind wir auch einfach nur fertig, weil wir auf körperlicher Ebene keine Energie mehr haben. Dann heißt es Energie tanken, um wieder Vollgas geben können.
- Wer innehält, erhält inneren Halt – Situationen wie: Stau, Supermarktschlange oder rote Ampeln als Einladung sehen, um mal tief durchzuatmen und zu sich zu kommen. Wie geht es mir gerade, brauche ich eine Pause? So werden normalerweise ärgerliche Situationen plötzlich zu Kraftoasen.
Vor allem der letzte Punkt ist sehr interessant. Wie schaffe ich es, solche Situationen nicht als zusätzlichen Stress zu empfinden, sondern sie bewusst zur Entschleunigung zu nutzen?
Nummer eins ist die Wahrnehmung solcher Situationen. Da muss man ja erstmal ein Bewusstsein kreieren, um dann die Einladung vom Leben für eine Pause anzunehmen. Aber das wird mit der Übung und Zeit.
Wichtig ist zu verstehen: 1 ist größer als 0
Achte darauf, dass das Thema Stressbewältigung für dich nicht der nächste Stressor ist. Das wäre kontraproduktiv. Sieh das Ganze lieber mit der 1 > 0 Mentalität. Jede Minute, die du Sport machst, dich in solchen Situationen entspannst oder für dich eintrittst, ist gut für dich und lohnt sich! Fange klein an und steigere dich dann langsam.
Problematisch stelle ich mir dann vor allem die Langzeitmotivation vor. Wie bleibe ich dran?
Die Frage der Motivation ist natürlich immer entscheidend. Suche dir selbst Dinge raus, die besser werden, wenn du mehr für dich eintrittst. Die für dich wichtig genug sind, um etwas zu ändern. Zum Beispiel: besser schlafen, mehr Gelassenheit, mehr Lebensfreude, mehr Zeit für mich. Das ist ganz individuell.
Wenn dir das nicht reicht, hilft es auch, sich zu überlegen, wer außer dir denn davon profitiert oder für wen es sich lohnt, wenn du langfristig gesund bleibt? Die eigenen Kinder oder auch die zukünftigen Kinder kommen dann oft auf. Und wenn du langfristig für deine Kinder da sein möchtest, dann solltest du lernen, gut für dich selber da zu sein. Nur dann kannst du auch wirklich für deine Kinder da sein, ohne dich selber zu verbrennen. Meistens weiß man aber schon sehr leicht, warum es sich lohnt, einen besseren Umgang mit Stress zu lernen. Und wenn du dann einmal unmotiviert bist, hole dir wieder vor Augen, warum du angefangen hast …
Wer übrigens Lust hat, das TrackMyDay-System kostenlos auszuprobieren, der kann es sich einfach auf hier herunterladen. Das ist vor allem ein Tool für die Wahrnehmung der eigenen Frühwarnzeichen.
Wie schafft ihr es, Leute dazu zu bringen, es einmal auszuprobieren, die selbst gar nicht merken, dass sie ein Problem haben – oder es nicht wahrhaben wollen?
Gute Frage. Wir zwingen natürlich niemandem zu seinem Glück. Aber ab und zu passiert es natürlich, dass wir in einen Workshop-Raum kommen und die Mitarbeiter da sein müssen. Da kann es vorkommen, dass der eine oder andere am Anfang nicht so intrinsisch motiviert ist. Deshalb geht es am Anfang eines jeden Workshops, der mindestens zwei Stunden geht, auch nur um die eigene Motivation.
Warum solltest du persönlich losgehen und für dich eintreten? Da werden quasi die Fragen beantwortet, die ich in der letzten Frage schon gestellt habe. Was ändert sich? Was wird mehr? Was wird weniger? Wer profitiert noch? Danach ist das mit der Motivation kein Problem mehr, und die Leute haben Lust auf Wissen und Strategien, um loslegen zu können. Eine Möglichkeit, um das von dir angesprochene „Nicht-Wahrhaben-Wollen“ zu umgehen, ist z. B. das positive Framen: Ich mache das, um noch leistungsfähiger zu sein.
So kriegt ihr sicher die meisten rum. Was sind für dich die größten Erfolgsmomente, die du als Trainer bisher hattest? Und was die größten Misserfolge?
Die größten Erfolgsmomente: Jedes Mal, wenn jemand mit dem Online-Programm fertig wird und wir eine begeisterte oder dankbare Mail bekommen.
Der Moment, wenn du während eines Workshops oder Vortrags etwas sagst – und plötzlich holen alle einen Stift raus und schreiben von selbst das Gesagte auf, damit sie es nicht vergessen.
Im Generellen sind meine größten Erfolgserlebnisse, dass immer mehr Menschen und Firmen das Thema angehen und verstehen, dass es eine Kompetenz ist, die man lernen kann und auch lernen sollte, weil es sich absolut lohnt. Und zwar, bevor man wirkliche Probleme mit dem Thema hat. Ich benutze in meiner Arbeit den Begriff Misserfolg nicht. Selbst der größte Fehler ist ein Lernfeld, aus dem man wieder sehr viel mitnehmen kann. Dementsprechend kommst du trotzdem voran. Dass etwas mal nicht so läuft wie geplant, gehört für mich vollkommen dazu.
Eines der größten Lernfelder war sicherlich unser erster Launch für das Online-Programm.
Dort hatten wir in der ersten Woche nur ca. 50 Programme verkauft, was weit unter unseren Erwartungen war.
Aber ihr habt mit euren Taktiken und Strategien sicher auch diese Herausforderung gemeistert. Danke für das Interview und die vielen Denkanstöße!