Hallo, Julia und willkommen bei LEAP/. Ich kann mir vorstellen, dass du beim Bitkom gerade in der Logistik auf viele Branchen triffst, die von der Digitalisierung eher weniger begeistert sind oder wenig Ahnung davon haben. Musst du da viel Überzeugungsarbeit leisten?
Ich sag mal: so-so. Es gibt auch hier viele Unternehmen, die sich doch sehr mit dem Thema beschäftigen. Gerade in der Logistik ist es auch so, dass viele mittelständische Unternehmen bei den Digitalthemen absolute Vorreiter sind.
Da gibt es zum Beispiel zwei Brüder, die in Sehnde das Unternehmen ihres Großvaters übernommen haben – und das in der fünften Generation. Die stellen eigentlich Verpackungskisten aus Holz für den Maschinenbau her, aber sie wollten das Ganze zusätzlich auch fit für die Zukunft machen. Sie sehen da ihre Verantwortung für ihre Mitarbeiter und auch für ihre Kunden, die z. T. Hidden Champions sind. Deutsche Mittelständler, die vielleicht eher kleine Unternehmen sind, aber es trotzdem im Maschinenbau an die Weltspitze geschafft haben.
Sie arbeiten nun auch mit Universitäten zusammen, um digitale Dienstleistungen für Maschinenbauer anzubieten. Zum Beispiel bauen sie in ihrem Lager digitale Zwillinge der Lager ihrer Kunden nach und bieten auch Software-Lösungen an. Außerdem sind sie ein Vorbild-Betrieb für den Zoll. Sie dürfen nicht nur auf ihrem Gelände Waren verpacken und verplomben, der Zoll schickt sogar seinen Nachwuchs während der Ausbildung nach Sehnde, damit sie sich diesen Musterbetrieb anschauen können.
Es gibt wirklich viele solcher Beispiele. Da werden neue digitale Konzepte und Strategien entwickelt, die dann in das bestehende Geschäftsmodell implementiert werden. So entstehen wirkliche Weltmarktführer.
Es gibt aber natürlich auch andere Betriebe, die mit der Digitalisierung nichts anfangen können oder sie eher als Bedrohung sehen. Überall, wo Menschen mit neuen Gegebenheiten und Veränderungen konfrontiert werden, herrscht erst einmal Skepsis oder sogar Angst. Die Herausforderung besteht darin, den Menschen diese Angst zu nehmen, jeden einzelnen auf dem Weg in die digitale Welt mitzunehmen und offen über mögliche Szenarien zu sprechen. Wandel gab es immer schon: Die Logistiker fahren heute ja auch nicht mehr mit dem Handkarren durch die Gegend oder teilen Pakete mit einem Packesel aus, sondern sind auch früher schon mit der Technik gegangen. Und das sollten sie jetzt auch im Zuge der Digitalisierung tun.
Wie gehst du denn damit um, wenn du mit Leuten sprichst, die eine total abwehrende Haltung haben? Erzählst du denen auch von solchen positiven Beispielen und zeigst ihnen, dass sie ihr Geschäftsfeld sogar erweitern können? Oder warnst du einfach nach dem Motto: „Sonst wird es euch in fünf Jahren nicht mehr geben“?
Ich arbeite eigentlich nicht mit solchen Angstszenarien, denn die lähmen eher und schaffen noch mehr Abgrenzung. Letztendlich möchte ich ja mit den Menschen ins Gespräch kommen. Oft merke ich dann auch, dass sie ja schon einiges umsetzen und vielleicht gar nicht wissen, was eigentlich alles zu den digitalen Technologien zählt.
Natürlich hat jeder E-Mail im Unternehmen oder ein CRM für die Kunden. Die meisten Unternehmen wissen, was ein elektronischer Rechnungsversand ist. Hier kann ich dann anknüpfen und ins Gespräch kommen. Ich will die Menschen dort abholen, wo sie sind – das ist im Vertrieb ja nicht anders. Man muss den Geschäftspartnern zuhören und herausfinden, wo sie sich hin entwickeln wollen. Denn die Digitalisierung ist ganz einfach ein integraler Bestandteil des heutigen Wirtschaftslebens. Wenn man mit den Menschen spricht, kann man hier viel erreichen.
Ich sehe oft, dass Menschen einfach ihre aktuellen Prozesse nehmen und diese ins Digitale übertragen – anstatt die Prozesse neu zu denken. Begegnet dir sowas auch öfter?
Klar, das ist ein klassischer Fall, der mir regelmäßig begegnet. Ein schlechter „undigitaler“ Prozess wird nicht besser, indem man ihn digitalisiert. Auf der anderen Seite ist die Digitalisierung auch kein Allheilmittel. Man muss ganz genau gucken, wo im Unternehmen digitale Prozesse sinnvoll sind und diese dann umsetzen. Außerdem muss man sich die Frage stellen, wie ein Unternehmen komplett digital aussehen würde. Wie würde das funktionieren? Und wie würde ein Angriff auf mein Unternehmensmodell aussehen? Wo würde ich mich angreifen, wenn ich mein eigener Konkurrent wäre und was kann ich dagegen tun? Man muss nicht nur alles digital denken, sondern es auch allgemein neu denken, allgemein gültige Wahrheiten hinterfragen. Nur so findet man neue Wege und Lösungen.
Ich denke, dass der Handel schon deutlich digitalisierter daherkommt als die Logistik. Das sieht man ja schon an den zahllosen Online-Shops. Aber was sind hier die größten Hürden, die dir immer wieder unterkommen?
Auch hier gilt wieder, dass Prozesse überdacht werden müssen. E-Commerce ist ja auch nicht unbedingt digitaler Handel. Es gibt viele Technologien, die der Händler auch stationär einsetzen kann. Der Kunde soll ein gutes Produkt und einen guten Service erhalten.
Vielleicht können Kunden das Produkt im Laden testen und bekommen es dann nach Hause geschickt, zum Beispiel per Dropshipping. Wichtig ist dem Kunden doch vor allem, dass er gut beraten wird. Deshalb bekommen Online-Shops, die schwer zu erreichen sind, auch schlechtere Bewertungen.
Wir sollten also weg vom Kanaldenken. Es geht eigentlich darum, ein No-Channel-Denken bei den Händlern zu implementieren. Beim Kunden herrscht das schon längst vor.
Wir sollten also alle Channels aufbrechen und einfach dort sein, wo der Kunde uns braucht?
Genau, und zwar mit richtig gutem Service. Wenn wir in einen Schuhladen gehen, ist es doch zum Beispiel nicht wünschenswert, dass die Verkäuferin, die wir nach einem Schuh in unserer Größe gefragt haben, erstmal für 15 Minuten im Lager verschwindet. Es wäre doch besser, wenn sie direkt per Tablet den Bestand prüfen kann. Und wenn es unsere Größe nicht gibt, kann sie direkt eine Alternative empfehlen. Außerdem wäre es ein Mehrwert, wenn man uns die Artikel dann direkt nach Hause schickt. Das würde uns in vielen Fällen, zum Beispiel wenn wir gerade reisen, das Leben deutlich einfacher machen.
Gerade was den Service und die Erreichbarkeit angeht, sind ja auch oft Dinge wie Chatbots und die künstliche Intelligenz relevant. Ich kann mir vorstellen, dass das euch genau eure Themen sind?
Ja, auf jeden Fall. Chatbots und die Sprachassistenten sind für uns sehr wichtig. Denn da kommt ja auch die Integration ins Smart Home ins Spiel, wie es zum Beispiel Allyouneed mit einem intelligenten Mülleimer vormacht. Es gibt aber auch intelligente Waschmaschinen, die selbstständig Waschmittel nachbestellen.
AI spielt eine große Rolle, weil man den Kunden so natürlich besser kennenlernen kann. Denn nichts ist ja nerviger als Werbung, die einen nicht interessiert. Hier ist dann nur die Frage, ob der Kunde bereit ist, seine Daten mit dem Händler zu teilen – und das muss jeder selbst entscheiden.
Interessant sind auch Technologien wie Blockchain, um transparente Wertschöpfungsketten herzustellen. Zum einen können so die Händler nachvollziehen, wo ihre Waren herkommen. Aber auch die Kunden können sich z. B. über die Produktionsbedingungen informieren und Dinge wie den Wasserverbrauch herausfinden. So lässt sich sicherstellen, dass beispielsweise die Bio-Baumwolle auch wirklich Bio ist.
Das sind ja alles auch total politische Themen, die du da ansprichst. Wie läuft denn eure Zusammenarbeit mit der Politik bei solchen Themen ab? Denn gerade was die Kompetenz bei der Digitalisierung angeht, hört man ja oft einige Horrorstories aus dem politischen Umfeld.
Zum einen kommt die Politik auf uns zu, damit wir beispielsweise in Arbeitsgruppen über aktuelle Trends und Entwicklungen berichten. Wir sind aber auch selber proaktiv, gehen auf Politiker zu, schreiben Stellungnahmen und geben konkrete Verbesserungsvorschläge. Da geht es dann zum Beispiel um Themen wie moderne Stadtplanung oder auch Verbraucherrechte.
Und darüber hinaus veranstaltet ihr auch Konferenzen, wie zum Beispiel die Digital Retail Conference. Da tritt ja unter anderem auch eine Vertreterin aus dem Bundeswirtschaftsministerium auf. Wie laufen solche Kooperationen ab?
Das ist in diesem Fall Dr. Kirsten Pukall, die seit Anfang des Jahres das Referat für Handel und Werbewirtschaft leitet. Sie ist sehr engagiert und sorgt für einen engen Austausch. Das ist dann eine tolle Gelegenheit, auf unserer Bühne auch den Standpunkt der Politik bzw. der Verwaltung zu haben. Denn sie arbeitet ja auch der Politik zu und hat viele Meinungen und Ideen, die für uns auch wichtig sind.
Außerdem wird die Veranstaltung vom parlamentarischen Staatssekretär Christian Hirte eröffnet. Und wir sind echt froh, von ihm einen weiteren Einblick in die Standpunkte der Politik zu bekommen. So schaffen wir einen echten Dialog zwischen der Wirtschaft und der Politik.
Das ist auf jeden Fall eine spannende Brücke, die ihr da bauen könnt. Gibt es denn neben den Politikern noch weitere Speaker, auf die du dich besonders freust?
Auf euren Chef Thomas natürlich *lacht*. Und auch sonst sind viele spannende Menschen vor Ort, da möchte ich eigentlich niemanden herausheben. Wir haben Vertreter der klassischen Plattform-Industrie wie Alibaba, aber auch Lebensmittelhändler wie Allyouneed aus der Bio-Ecke. Außerdem kommen Logistiker wie DPD mit ihrer neuen Digital-Strategie und das EHI-Gütesiegel, weil wir das Thema Sicherheit in diesem Jahr ganz großschreiben. Es gibt auch zwei Vorträge von Start-ups, die über AI sprechen werden. Schaut euch das Line-Up einfach mal an.
Das ist auf jeden Fall spannend, auch wenn ihr für dieses Jahr schon ausverkauft seid. Vielen Dank für das Interview, liebe Julia – wir sehen uns bei der Digital Retail Conference!