„Wenn man hreflang wie ein Medikament betrachten würde, gibt es viele mögliche Nebenwirkungen“ – Gianna Brachetti-Truskawa im Interview - LEAP/
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„Wenn man hreflang wie ein Medikament betrachten würde, gibt es viele mögliche Nebenwirkungen“ – Gianna Brachetti-Truskawa im Interview

International SEO Expertin Gianna Brachetti-Truskawa spricht im Interview über SEO-Strategien, Übersetzungen und Kraken.

by Oliver Engelbrecht
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Über Gianna Brachetti-Truskawa

Gianna Brachetti-Truskawa arbeitet als Senior International SEO bei der bold ventures GmbH mit Fokus auf internationale, große/komplexe Webseiten. Während ihrer Laufbahn war sie sowohl Head of SEO in Agenturen als auch Inhouse-SEO bei Chefkoch.de und gofeminin.de/onmeda.de. Sie hat ursprünglich Übersetzen und Dolmetschen an der TH Köln studiert und als technische Übersetzerin gearbeitet. Ihr Hauskraken Konrad aka Konni Lingus ist auf Konferenzen immer dabei, mal zur Unterstützung, mal zur Belustigung, und mal mit einer Gastrolle.

Hallo, Gianna und willkommen bei LEAP/. Sprache und internationales SEO – wie bist du denn vom einen zum anderen gekommen? Also was hat dich bewogen, in die SEO-Welt einzutauchen – und auch dabei zu bleiben?

Mein Lebenslauf ist auch eher ein Oktopode, ich habe in sehr unterschiedlichen Branchen gearbeitet, aber aus allen etwas Wissenswertes mitgenommen. Das erste Mal hatte ich während meines Studiums mit SEO zu tun, später bei einem Startup in London, obwohl ich eigentlich im Produktmarketing gearbeitet habe, aber da bereits zuständig dafür war, die jeweilige Website vor dem Rollout neuer Features zu testen. Damals gab es noch ausklappbare „SEO-Footer“ in Schriftgröße 8.

Nach meinem Studium war ich freiberufliche Übersetzerin, habe mich aber gelangweilt (und mich über Kunden und die Branche geärgert) – bis arvato Bertelsmann mehrsprachige SEOs suchten. Sprache und Computer haben mich immer stark fasziniert, SEO kam mir als Kombination aus beidem ganz gelegen. Übersetzung wird auch immer wieder unterschätzt – man muss nicht nur kreativ sein, es ist auch eine sehr analytische Tätigkeit, die häufig auch die strategische Beratung des Kunden beinhaltet. Insofern liegen z. B. SEO und Übersetzung näher beieinander als man denken mag.

Warum ich dabei geblieben bin? Es ändert sich ständig etwas, das heißt ich muss immer wieder neue Dinge dazu lernen oder ausprobieren – das hält mein Interesse beständig. Und wir haben ein paar sehr tolle Menschen in unserer Branche, insbesondere in der regionalen SEO-Szene im Bereich Rhein/Ruhr gibt es einen guten, intensiven und sehr menschlichen Austausch.

Ich finde es immer wieder spannend, aus wie vielen unterschiedlichen Bereichen sich unsere Szene zusammensetzt, da bist du ja auch ein gutes Beispiel. Aber zum thematischen: Mit Internationalisierungen hast du dir ja ein Feld ausgesucht, das viele Menschen vor schier unlösbare Aufgaben stellt. Was sind für dich die faszinierendsten Facetten dieses Themas?

Das ist je nach Projekt oder Problemstellung sehr unterschiedlich. Meistens kommen Kunden auf mich zu, die bereits lange international sind und Schwierigkeiten mit ihren Strukturen haben. Das heißt, Konni darf erstmal Dr. Watson spielen, um herauszufinden, wo genau das (bereits arg verkrustete) Problem liegt und wie man es lösen kann – wir lieben strukturierte Daten und verkorkste hreflang-Geschichten mit exotischen Sprachen.

Wenn man da aber mal ein bisschen genauer unter die Haube schaut und nach den Ursachen sucht, findet man schnell heraus, dass ihre Strukturprobleme nicht nur im HTML liegen, sondern auch in den Prozessen der täglichen Arbeit. Heißt: Da sind Dinge bei der Internationalisierung und in den darauf folgenden Jahren nicht richtig gelaufen, weil man nicht die richtigen Leute rechtzeitig einbezogen hat. Du kennst vielleicht den Klassiker: Die SEO wird in seinem Keller von einem ziemlich aufgewühlten Geschäftsführer heimgesucht, weil plötzlich der Traffic futsch ist, und im Nachhinein findet Sherlock SEO heraus, dass die Entwickler heimlich einen Relaunch gemacht haben. Die SEO löscht das Feuer, eventuell wird eine solche Situation mal eskaliert, aber ich erlebe es selten, dass im Anschluss auch ein Umdenken stattfindet und SEOs konsequent in alle Prozesse einbezogen werden. (Okay, ich bin vielleicht etwas voreingenommen, da ich meistens nur dann konsultiert werde, wenn so etwas schief läuft und nicht, wenn es gut läuft.)

Es kann natürlich auch spannend sein, ein noch nicht ganz so großes Unternehmen, das gerade im Wachstum ist, bei der Internationalisierung von Anfang an zu begleiten.

Gerade das hreflang macht ja vielen Leuten Kummer. Was denkst du, warum das so ist? Und was sind deine Patentrezepte, um Kunden hier auf den richtigen Weg zu führen?

Wenn man hreflang wie ein Medikament betrachten würde, gibt es viele mögliche Nebenwirkungen mit anderen Elementen, wie Canonicals, in der Paginierung, usw. Hier sehen wir die häufigsten Probleme. Und es scheint sehr viele Missverständnisse zu geben, etwa über die korrekte Benennung von Regionen etc.

Tatsächlich glaube ich aber, dass die fiesesten Probleme mit dem hreflang entstehen, wenn Unternehmen den hreflang auf Websites einsetzen, die bereits strukturelle Probleme haben – etwa, weil sie nur EINE ccTLD für alle Länder benutzen wollen oder sich nicht vorher genau darüber Gedanken gemacht haben, welche Regionen sie in welcher Sprache sinnvollerweise bespielen möchten.

Anders gesagt: am hreflang erkennt man manchmal, an welcher Stelle die Unternehmen ihre Strategie für die organische Reichweite nicht vollständig durchdacht haben. Das fängt schon damit an, dass sie wenig über ihre Zielgruppe wissen oder denken, alle spanischen Muttersprachler sprächen exakt dasselbe Spanisch (und daher würde EINE Textvariante für alle reichen, oder der Markenname im Spanischen, in Lateinamerika sowie Spanien dieselbe Konnotation besitzen, siehe das Beispiel „Reventón“.

Ein Patentrezept gibt es da leider nicht, dafür ist der Einsatz des hreflang zu stark von den bestehenden Strukturen und der gewünschten Zielgruppe abhängig.

Das sieht man ja immer wieder: „Unser Werkstudent kommt doch aus Frankreich, der kann uns doch schnell die Seite übersetzen.“ Oder auch: „Mein Englisch ist großartig, das mache ich selbst.“ Bei der Sprache – und gerade bei Übersetzungen – herrscht oft eine „Geiz ist geil Mentalität“, die dir doch sicher die Haare zu Berge stehen lässt. Wie sorgst du dafür, dass Unternehmen hier den professionellen Weg wählen?

Das wird eine sehr kurze Antwort: Durch unermüdliche Aufklärung. Und Lavendeltee.

Okay, ich will mal nicht so sein – wenn’s mich zu sehr beißt, stelle ich vielleicht unangenehme Rückfragen:

„Ihr zahlt also Eurem IT-Berater 1500 € pro Tag – und wie viel gebt ihr für eure Übersetzungen aus? 300 €? (Oder 80 €, wenn der Student zweckentfremdet wird.) Merkste selber, ne?“

Das ist nämlich der Knackpunkt: An der Differenz zwischen dem, was Unternehmen bereit sind, in die Technik zu investieren und dem, was sie in die Erstellung/Übersetzung von Inhalten investieren, lässt sich ziemlich gut erkennen, wo die Prioritäten liegen und es an Verständnis fehlt. Sie wollen sich ja nach außen hin professionell präsentieren – das funktioniert aber nicht, wenn die Seite zwar technisch läuft (obschon auch das, wenn man genauer hinsieht, häufig nicht sauber ist), aber die Inhalte wirklich schlecht sind oder nicht zur Zielgruppe passen. Das Problem ist nur: Da sie selbst die Sprache nicht sprechen und sich auch nicht mit der Erwartungshaltung der Zielgruppe auseinandergesetzt haben (die sich in jeder Kultur unterscheiden kann), merken sie es nicht.

Das kann im eCommerce auch rechtliche Folgen haben – etwa, wenn man vergessen hat, die Widerrufserklärung auf Englisch oder Französisch bereitzustellen oder die AGB nicht korrekt übersetzt sind oder im Zielland ggf. andere rechtliche Dokumente erforderlich sind, die dann neu erstellt werden müssen. Hier braucht es dann ggf. auch Rechtsberatung.

Ich könnte Euch jetzt gefühlt mit sechshundersechsundsechzig Beispielen für Übersetzungsfehlschläge zuschmeißen, aber ich lasse diese Option offen – wer gerne einen sehen möchte, kann mich gerne mal anschreiben. (Oder mir auch gerne welche melden, Konni sammelt die und klebt sie in sein Panini-Heftchen!)

Wo wir schon beim Thema Sprachen sind: Welche ist deine Lieblingssprache und warum? Bzw. welche Eigenheiten einer Sprache haben es dir besonders angetan?

Puh – das solltest Du Menschen, die einen Sprachfetisch hegen, nicht fragen!

Konni, was sagst du? (Konni murmelt im Hintergrund: „… gnnnnrrrll… Konni fhtagn!“).

Jede Sprache, mit der ich bisher zu tun hatte, hat etwas für sich. Aber wenn ich eine auswählen müsste: Türkisch (insbesondere der Akzent aus der Region Mersin, am Mittelmeer im Südosten). Wenn man die Sprache nur hört, wird es einem vielleicht nicht bewusst, weil man nicht weiß, worauf man achten müsste – aber das Türkische ist sehr harmonisch. Tatsächlich baut die Sprache auf einer Vokalharmonie auf. Das Türkische ist eine agglutinierende Sprache, d. h. Worte werden über Suffixe erweitert und damit näher bestimmt – und die Vokale jedes Suffix passen sich harmonisch an die Vokale der vorgehenden Silbe an, damit die Harmonie innerhalb des Wortes erhalten bleibt.

Insgesamt ist die Wortbildung im Türkischen sehr spannend. So gibt es z. B. „zusammengesetzte Zeiten“, d. h. innerhalb eines Verbstamms kann man verschiedene Bestandteile miteinander vermischen, um Nuancen auszudrücken, die sich oft nur schwer ins Deutsche übertragen ließen.

Das finde ich ziemlich faszinierend.

Apropros faszinierend: Auch die Deutsche Sprache hat ja so einige Eigenheiten. Wie siehst du als jemand, die viele Sprachen spricht, das Deutsche? Vom oft „harten“ Klang bis hin zu Gender-Debatten, die es in vielen anderen Sprachen fast gar nicht geben kann.

Ich mag die deutsche Sprache sehr, bin aber froh, dass ich hier aufgewachsen bin, weil es sonst sicher schwierig geworden wäre, es zu lernen.

Ich mag unsere Art, Komposita zu bilden und hege eine geheime Liebe für den leider einen langsamen Tod sterbenden Genitiv. Durch jede Sprache, die ich lerne oder mit der ich mich eingehender beschäftige, lerne ich, wo das Deutsche grammatikalisch weniger flexibel ist und suche nach Möglichkeiten, die neu erlernte Flexibilität einer anderen Sprache im Deutschen nachzubilden; das ist manchmal spannend (und macht wiederum, wenn nicht flexibler, dann wenigstens bewusster im Umgang mit der Sprache).

Früher habe ich mich immer gefragt, warum Menschen sagen, das Deutsche klinge hart – bis ich nach längerem Aufenthalt aus England zurückkehrte und auf einmal am Bahnhof eine Weile brauchte, bis ich die Menschen um mich herum verstand, weil mein Hirn noch auf die englische Sprachmelodie gepolt war. Da bekam ich einen kurzen Eindruck, wie das Deutsche für einen Nicht-Muttersprachler klingen mag – und es klang tatsächlich relativ hart.

Allerdings hängt das auch davon ab, wie die jeweiligen Sprecher sich ausdrücken, wie schnell und energisch sie sprechen. Oder welchen Dialekt sie sprechen. Das marokkanische Arabisch etwa klingt nicht nur für unsere Ohren viel härter als das Libanesische – ich habe Bekannte aus Marokko und Tunesien, die behaupten, das Libanesische klinge für sie in etwa so attraktiv wie für viele Deutsche das Französische (wenn man Französisch mag).

Apropos: Man kann auch das Französische so sprechen, dass es hart klingt, während ich es eigentlich als eher weiche Sprache empfinde. Französischer Hip-Hop klingt jedoch oft nicht besonders weich.

Bzgl. Gender- und anderen Debatten: Sprache erzeugt Realität (oder bildet sie ab; zugegeben, über solche linguistisch-philosophischen Betrachtungen kann man trefflich streiten). Wenn es für etwas spezifische Worte gibt, sind das oft Dinge, die wichtig genug sind oder im Sprachgebrauch häufig genug vorkommen, sodass eine Kultur eigene Worte dafür bildet, die sich dann verbreiten. Im Deutschen haben wir z. B. ein spezifisches Wort für so ziemlich jede Art von Messer – was das jetzt über uns als Kultur aussagt, lass ich mal so stehen. Ich selbst falle immer wieder ins generische Maskulinum, wenn ich schreibe, daher bin ich sicher nicht das beste Beispiel für Gender-Debatten – aber ich kann vor diesem Gesichtspunkt manche Diskussionen gut verstehen. Es geht in vielen Fällen darum, dass diskriminierten Personengruppen ein gleichberechtigter Platz in der Gesellschaft eingeräumt wird und dazu bedarf es zunächst der bewussteren Wahrnehmung – und die können u. A. wir über Sprache gestalten.

Sehr schön. Aber verlassen wir das Thema Sprache und widmen uns wieder deinem eigentlichen Kernthema: technische Suchmaschinenoptimierung. Wir sprachen ja schon über das hreflang – was sind darüber hinaus deine liebsten Themen, in die du dich stundenlang vergraben könntest?

Tatsächlich kommt das bei mir auf das Projekt an. Strukturierte Daten (schema.org) liebe ich, Serverlogs können auch spannend sein. Eine Hassliebe verbindet mich mit Relaunches und CMS-Migrationen.

Eine Hassliebe deshalb, weil sie einerseits spannend sind – je verkorkster, desto mehr gibt es herauszufinden und zu tun – und andererseits oft erstmal das Bewusstsein und ein Prozess geschaffen werden müssen, um die Probleme überhaupt als SEO angehen zu können. Ich habe schon Relaunches erlebt, in denen ich erst ins Spiel kam, als die Hütte schon ordentlich brannte – und es weder valide Daten in Google Analytics noch Serverlogs aus der Zeit des Relaunches gab, weil die Retention Time nur auf eine Woche angesetzt war und ältere Daten schlicht gelöscht worden waren. Wenn sich dann noch Leute sperren, bestimmte Alternativen umzusetzen oder SEOs die nötigen Befugnisse einzuräumen, schnellstmöglich das Problem anzugehen, bin ich irgendwann auch mal genervt.

Man hört ja bei Relaunches oft von den Klassikern: Keine Weiterleitungen eingerichtet, die neue Seite auf Noindex gestellt oder ähnliche Späße. Was sind abgesehen davon die größten Katastrophen, die dir bisher untergekommen sind – oder die du gerade noch verhindern konntest?

Bei Relaunches kann vieles schief gehen, es hängt davon ab, was der Fokus war. Grob gesagt ist es oft fatal, wenn zuviel auf einmal geändert wird – ein komplettes Redesign aller Seitentypen, gepaart mit einer Umstrukturierung aller URLs und der von Dir angesprochenen vergessenen Redirects, usw. Dann kann es im Nachhinein lange dauern, bis man herausfindet, was gerade primär für einen Rückgang beim organischen Traffic gesorgt hat. Zusätzlich sind die Änderungen meistens nicht gut bis gar nicht dokumentiert, man fischt also im Dunkeln.

Die größte Katastrophe, die mir bisher untergekommen ist, war ein großer internationaler Publisher, die in kurzer Zeit zuerst den Vermarkter, dann die AdServer gewechselt hat und dann einen undokumentierten Relaunch hingelegt hat – inkl. Redesign (mit teilweise fatalen neuen Fehlern), Eliminierung vermeintlich alter Seiten, Umstellung von URLs. Obendrein haben sie das Tracking vor, während und mehrmals nach dem Relaunch geändert, sodass die Analytics-Daten kaum noch verwertbar waren, und die Serverlogs wurden nur eine Woche vorgehalten. Als reiche das alles nicht, gab es kurz nach dem Relaunch bereits keine festen Zusagen über Verfügbarkeit von Entwicklern zur Behebung von identifizierten Problemen mehr, und SEOs waren nicht vollständig in die Planungsprozesse der SCRUM-Teams eingebunden und hatten auch keinen Zugang zum Ticketsystem. Dagegen ist eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt ohne Betäubung ein Spaziergang.

Das kann ich mir vorstellen. Zum Abschluss noch eine ganz andere Frage: Du bist ja auch auf Konferenzen sehr aktiv. Was glaubst du, warum es immer noch so wenige Frauen gibt, die auf Online Marketing Konferenzen sprechen?

Bevor ich mich bei dieser Antwort arg unbeliebt mache: Ich maße mir nicht an, alle Schwierigkeiten, die sich einem Konferenzveranstalter stellen, zu kennen. Meine Meinung speist sich aus meinen eigenen Beobachtungen und Gesprächen mit anderen Frauen im Online-Marketing und Veranstaltern und zu Letzteren müsste ich sicher öfter das Gespräch suchen, um die Lage besser beurteilen zu können.

Allerdings habe ich mitunter den Eindruck, dass Veranstalter sich oft nicht ausreichend mit ihren Sprecherinnen als potenzielle Zielgruppe auseinandersetzen. So gibt es z. B. sehr selten Kinderbetreuung. Ich höre immer wieder von anderen Frauen im Online-Marketing-Bereich, dass ihnen genau das fehlt und sie deshalb auch schon Anfragen ablehnen mussten.

Zur Ablehnung kann es auch kommen, wenn Kandidatinnen das Gefühl haben, nur angesprochen zu werden, damit eine bestimmte Quote erfüllt werden kann. Wenn man als Veranstalter wirklich mehr Frauen im Programm haben möchte, sollte man sich eingehend mit seinem Netzwerk befassen, es scheint oft so zu sein, dass ihnen für bestimmte Themen nur Männer einfallen, die diese Themen bisher für sich besetzt haben. Wenn etwa Frauen, die sich vorrangig mit technischen Themen beschäftigen, immer nur zu Redaktionsthemen befragt werden, hat das einen – möglicherweise unbeabsichtigten – Beigeschmack, der vermutlich nicht zum Erfolg führen wird.

Und natürlich gibt es auch Frauen, die sich das einfach nicht zutrauen. Daran müssen wir arbeiten – aber von beiden Seiten. Es hilft nichts, das Problem komplett auf die Frauen abzuwälzen, wenn bereits seit vielen Jahren ein Missverhältnis bestanden hat. Ob es zur Gleichberechtigung beiträgt, wenn man Frauen gezielt fördert und ermutigt, ist ein großer Streitpunkt. Meiner Ansicht nach schadet Förderung nicht, wenn es über langen Zeitraum ein Missverhältnis gegeben hat. Und sei’s nur, um das bisherige Verhältnis und die Notwendigkeit oder den Willen, es zu verändern, im Bewusstsein anderer Referenten/Referentinnen und Teilnehmer/innen zu verankern, damit es sich künftig Schritt für Schritt in die richtige Richtung bewegen kann. Die Angst, dadurch Menschen zu fördern, die fachlich nicht gut genug für die Veranstaltung seien, kann ich nicht nachvollziehen – ich habe auf Konferenzen sowohl von Männern als auch Frauen Vorträge gesehen, bei denen mir einiges gefehlt hat, das kann immer passieren und liegt dann auch an meiner persönlichen Erwartungshaltung.

Kurzum: Ich würde mir von Veranstaltern wünschen, dass sie proaktiv versuchen herauszufinden, was Frauen fehlt, um sie als Referentinnen zu gewinnen. Dazu bedarf es derzeit noch der konkreten Ansprache geeigneter Kandidatinnen anstelle eines bloßen, allgemeinen „Call for Papers“, bis sich das Verhältnis ein bisschen mehr ausgeglichen hat. Und: Fragt mögliche Kandidatinnen persönlich, was ihnen fehlt. Das ist wie im Marketing: MIT der Zielgruppe sprechen, ist oft zielführender, als sich nur am Schreibtisch ÜBER die Zielgruppe Gedanken zu machen. Pflegt Euer Netzwerk und merkt Euch, wer was kann, oder fragt bei Initiativen wie den Digital Media Women oder Speakerinnen.org nach.

Zwei bemerkenswerte Online-Marketing-Herzchen, die sich für ihre Veranstaltungen redlich und erfolgreich um ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Männern und Frauen bemühen, sind Rhea Moore und Michael Janssen. Wenn ich eine Veranstaltung machen wöllte, würde ich die beiden fragen, wie sie das hinkriegen, sie können sicher wertvolle Tipps geben

P.S.: Passend zum Thema haben die Digital Media Women Academy viele tolle Veranstaltungen.

Liebe Gianna, danke dir für die spannenden Einblicke in deinen Arbeitsalltag.

This post was written by

Oliver Engelbrecht

Ich bin bei LEAP/ für Marketing & Communications zuständig und verantworte damit die Lead-Generierung und das Branding der Agentur. Zudem leite ich unser LEAP/ Magazin als Chefredakteur. Zuvor habe ich das SEO-Portal aufgebaut und geleitet.