Hallo Eoghan, schön, dass wir uns mal wieder unterhalten. Heute möchte ich mit dir über ein Thema sprechen, das für fast alle SEOs relevant ist: nämlich die Aus- und Weiterbildung. Wir haben schon gemerkt, dass wir beide zum Beispiel ursprünglich aus ganz anderen Ecken kommen – magst du deinen Einstieg noch einmal kurz beschreiben?
Klar, gerne! Ich bin eher zufällig im SEO bzw. im Online-Marketing gelandet. Ich habe Linguistik studiert und war ein Jahr vor dem Ende meines Studiums auf der Suche nach einem Studentenjob, als ich eine Stellenanzeige von luna-park, einer Online-Marketing-Agentur aus Köln, gesehen habe. Eigentlich hat mich Marketing gar nicht interessiert (bzw. ich habe es nicht als Option für mich betrachtet), aber luna-park war auf der Suche nach Werkstudenten und die Stellenanzeige erwähnte explizit Linguistik als eine der gesuchten Studienrichtungen.
Als Linguistik-Student ist man in der Regel ziemlich planlos, was den Arbeitsmarkt angeht und sieht eigentlich nur eine akademische Laufbahn als realistische Karrierechance an. Die Stellenanzeige von luna-park war die einzige von Tausenden, die ich über die Jahre gesehen habe, in der Linguisten als Zielgruppe genannt wurden. Also habe ich mich einfach mal beworben und den Job auch bekommen. Und nach dem Studium bin ich dann direkt bei luna-park geblieben und habe dort meinen ersten Vollzeitjob bekommen.
Ich kann mir vorstellen, dass du dann zu Beginn vor allem durch interne Weiterbildungsmaßnahmen gelernt hast, worum es im Online-Marketing eigentlich geht? Wie sahen deine ersten Gehversuche aus und wie wurdest du unterstützt?
Die Agentur war damals noch recht klein und es gab ehrlich gesagt gar keine Strukturen, um Leute auszubilden. Für mich war das aber das ideale Umfeld. Ich lerne gerne selbst, indem ich recherchiere und ausprobiere. Außerdem konnte ich mir viel bei meinen erfahrenen Kollegen abschauen. Es war aber nicht wirklich so, dass irgendwer Zeit hatte, sich mit mir hinzusetzen und mir Dinge zu erklären und organisierte Weiterbildungsmaßnahmen gab es, soweit ich mich erinnern kann, auch nicht. Viele Agenturen machen zwar inzwischen mehr in die Richtung, aber ich glaube trotzdem, dass man bessere Chancen hat, viel zu lernen, wenn man die Einstellung hat, dass man es sich selbst erarbeiten muss und nichts vorgekaut bekommt.
Ich hatte bei luna-park das große Glück, dass mir von Anfang sehr viel Vertrauen entgegengebracht wurde und dass ich deshalb schon früh Verantwortung übernehmen konnte. Ich habe als Student schon eine große Anzahl von Kunden direkt betreut und dabei wahnsinnig viel gelernt. Das war ein Sprung ins kalte Wasser und zu 95 % „learning by doing“, aber ich bin bis heute sehr dankbar dafür, dass ich diese Chance bekommen habe.
Gerade das „selber machen dürfen“ ist sicher ein ganz wichtiger Punkt. Du kannst viel lesen, aber nichts ersetzt das Ausprobieren. Denkst du, dass es sinnvoll ist, Neulinge auch direkt auf die Kunden loszulassen? Oder sollte man ihnen interne Projekte als Spielwiesen geben, auf denen sie lernen und auch Fehler machen dürfen?
Das hängt sicher ganz stark vom jeweiligen Typ ab, aber ich denke, es ist generell eine gute Idee, Neulinge direkt mit Kunden zu konfrontieren, sofern das Ziel für sie ist, Berater zu werden. Einige Agenturen beschäftigen ja auch Leute, die hauptsächlich im Hintergrund arbeiten und weniger Kundenkontakt haben. Solange man dem Kunden gegenüber transparent ist, spricht aus meiner Sicht nichts dagegen, auch Werkstudenten und Trainees in die Kundenkommunikation zu schicken. Schließlich ist das ja auch eine der wichtigsten Sachen, die man als Berater lernen muss.
Natürlich ist Fachwissen ein Muss, aber als Berater in einer Agentur ist es fast noch wichtiger, dass man ein guter Kommunikator ist. Man muss die Sprache der Kunden sprechen, sich in die Personen hineinversetzen können und gute Beziehungen aufbauen, um Projekte erfolgreich voranzutreiben. Und wenn du nach Fehlern fragst: Fehler darf natürlich jeder auch in Kundenprojekten machen, nicht nur auf der Spielwiese. Auch erfahrene Berater machen noch regelmäßig Fehler.
Du hast dich ja dann in den folgenden Jahren immer weiter verbessert und z. T. auch spezialisiert. Hast du im Laufe der Zeit auch externe Angebote angenommen oder war es weiterhin vor allem dein Selbststudium, das dich weitergebracht hat?
Ich habe über die Jahre das meiste durch Lesen und Experimentieren gelernt und natürlich in meinen Kundenprojekten viel Erfahrung gesammelt. Konferenzen sind auch immer ein guter Impuls, aber eher zur Inspiration, um neue Bereiche zu erforschen, als zur Wissensvertiefung. Andere Weiterbildungsangebote habe ich selber nicht oder nur wenig angenommen, aber das liegt auch einfach daran, wie ich ticke.
Ich glaube, dass viele verschiedene Lerntypen existieren und es für jeden es einen guten Weg gibt, sich Wissen anzueignen. Es gibt heutzutage zahlreiche Online-Kurse, Studiengänge, Seminare, Podcasts, Videos, Ebooks und auch Agenturen und Unternehmen haben interne Aus- und Weiterbildungsprogramme, in denen Neulinge von erfahrenen Kollegen oder von externen Trainern lernen.
Was sind denn für dich die Konferenzen, von denen du in den letzten Jahren am meisten mitgenommen hast? Sei es, wegen der guten Vorträge oder dank des offenen Networking. Denn Neulinge brauchen sicher Tipps, welche Konferenzen sich wirklich lohnen – und welche eher nicht.
Ich weiß nicht, ob ich der beste Ansprechpartner für das Thema bin, weil ich gar nicht so oft auf Konferenzen gehe. Aber ich kann ja mal zusammenfassen, was mir in den letzten Jahren besonders gut gefallen hat. Anfang 2014 war ich auf der SMX Israel. Das war ein absolutes Highlight, weil es eine sehr interessante Reise war und weil das Level der Vorträge, verglichen mit Deutschland, einfach bombastisch war. Eine ähnliche Qualität findet man zwar auch auf der SMX München, die ebenfalls sehr empfehlenswert ist, aber leider weniger international ausgerichtet.
Das ist sowieso ein Riesen-Problem in Deutschland, dass die meisten Konferenzen ein größtenteils oder komplett deutschsprachiges Programm haben und damit viele Speaker und potenzielle Besucher kategorisch ausschließen. Dadurch wird natürlich eine Menge Potenzial liegen gelassen. Die einzige andere Konferenz in Deutschland, für die ich persönlich noch einmal die Reise in Kauf nehmen würde (ich lebe ja in Spanien), ist die SEO CAMPIXX. Dort gibt es aufgrund des Barcamp-ähnlichen Formats wahnsinnig gute Vorträge, wenig kommerzielles Blabla und ein unschlagbar gutes Networking.
Es gibt ja auch, wie du schon sagtest, immer mehr Studiengänge und auch Ausbildungen in Richtung SEO und Online-Marketing. Glaubst du, dass diese etwas bringen? Oder ist das einfach zu theoretisch, um wirklich erfolgreich zu sein?
Ich denke, dass es mit Online-Marketing-Studiengängen genauso ist, wie mit allen anderen Studiengängen: Man lernt ein paar Sachen, ein paar davon bleiben vielleicht sogar hängen, aber richtig gut wird man erst, wenn man den Job dann wirklich macht. Ich bin selbst Dozent für Webanalyse und Google Ads in einem Masterstudiengang und das gesamte Programm des Studiums ist vom Umfang her wirklich beeindruckend. Das heißt aber nicht, dass die Studenten nach dem Jahr fertig sind und ausgelernt haben. Genau wie alle anderen (auch Quereinsteiger) müssen sie im Job lernen, worauf es wirklich ankommt. Vielleicht haben sie gegenüber Leuten mit anderem Background den Vorteil, dass sie schon einmal ein umfassendes Bild vom Online-Marketing vermittelt bekommen haben.
Der Vorsprung ist aber nach ein paar Monaten im Job wahrscheinlich schon geschmolzen. Insgesamt finde ich es gut, dass es jetzt immer mehr und mehr Bildungsangebote im Online-Marketing gibt, aber natürlich können diese nur bedingt die Erfahrungen ersetzen, die man im Arbeitsalltag sammelt.
Der Studiengang, in dem ich unterrichte, ist übrigens sehr praktisch angelegt, „zu theoretisch“ ist also nicht unbedingt ein Argument dagegen. Im Google-Ads-Modul erstellen und optimieren die Studenten z. B. Kampagnen für ihre eigenen Websites, die sie zuvor in anderen Modulen erstellt haben. Das ist aber natürlich noch weit davon entfernt, tatsächlich Kampagnen für Kunden oder den Arbeitgeber zu erstellen, aber schon eine bessere Annäherung als eine reine Vorlesung.
In welchem Studiengang dozierst du denn? Und was sind da deine Themen?
Seit letztem Jahr unterrichte ich in einem Masterstudiengang für digitales Marketing an der Universität von Santiago de Compostela hier in Galicien. Die meisten Dozenten sind, so wie ich, keine Professoren oder wissenschaftlichen Mitarbeiter der Uni, sondern Spezialisten aus der Berufspraxis für die Themen, die sie unterrichten. Ich habe letztes Jahr das AdWords-Modul gemeinsam mit Thomas Waniek von morefire (ehemals rankingCHECK, mein letzter Arbeitgeber, bevor ich mich selbstständig gemacht habe) gehalten und dieses Jahr kommt noch das Webanalyse-Modul dazu, das ich alleine übernehme.
Die Module bestehen aus jeweils 20 Stunden Unterricht, verteilt auf 4 Tage, die aus 80 % praktischen Übungen und nur 20 % aus theoretischen Vorlesungen zusammengesetzt sind. So viele praktische Elemente reinzubringen ist für uns Dozenten gar nicht so einfach, aber es lohnt sich, weil die Studenten so mehr Spaß haben und deutlich mehr lernen.
Das hört sich auf jeden Fall sinnvoll an. Wovon rätst du denn Neulingen im Online-Marketing ab? Damit meine ich Dinge, mit denen sie Zeit und vielleicht auch Geld verschwenden, aber nicht viel lernen.
Die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Generell vorsichtig wäre ich bei sehr teuren Fortbildungen. Es gibt so viele gute kostenlose oder günstige Angebote und der Erfolg hängt bei allen Maßnahmen so stark von der Motivation des Lernenden ab, dass ich bezweifle, dass eine hohe Investition automatisch eine hohe Qualität bedeutet. Und dann hängt natürlich vieles wieder vom Lerntyp ab. Wenn man Geld für einen Online-Kurs oder ein Fernstudium ausgibt, aber dann merkt, dass das für einen selbst gar nicht die richtige Art zu lernen ist, hat man wahrscheinlich auch Zeit, Geld und Energie verschwendet.
Ich denke, oft steht und fällt die Weiterbildung mit der Person, die das Wissen vermitteln möchte – sei es der Mentor im Unternehmen oder der Dozent an der Uni. Hast du Tipps, wie man das Hirn der Lernenden am besten erreichen kann?
Ich versuche immer, mich in die Personen, mit denen ich kommuniziere, hineinzuversetzen. Das mache ich sowohl als Berater, als auch als Mentor oder Dozent. Wenn man etwas vermitteln möchte, ist es wichtig, die Sprache des Gegenübers zu sprechen, anstatt einfach nur sein Programm runterzurattern. Man sollte als “Wissensvermittler” selber Fragen stellen, zuhören, Feedback einfordern und Diskussionen fördern, damit man die Menschen, denen man etwas beibringen möchte, richtig ansprechen und abholen kann. Praktische Beispiele, die die Lernenden nachvollziehen können, weil sie aus ihrer eigenen Welt kommen, funktionieren oft besonders gut.
Wohl wahr, nichts ist schlimmer als ein Dozent, der selbst keine Fragen mehr stellt. Zum Abschluss: Was wünschst du dir für die digitale Weiterbildung in Europa? Mehr Ressourcen, mehr Durchdringung der Universitäten, mehr Unternehmen, die den Bildungsauftrag ernst nehmen? Was darf es sein?
Ich glaube, „Unternehmen, die den Bildungsauftrag ernst nehmen“ ist schon das richtige Stichwort. Unsere Branche ist sehr schnelllebig, da ist es schwer, die Bildung in den Universitäten immer auf dem neuesten Stand zu halten. Unternehmen sollten die Aufgabe übernehmen, junge Leute auszubilden und ihnen Chancen zu geben. Das bedeutet allerdings auch, dass erfahrenere Mitarbeiter befähigt werden müssen, ihr Wissen weiterzugeben. Das geht natürlich nur, wenn sie nicht zu 100 % mit ihren alltäglichen Aufgaben ausgelastet sind. Außerdem wäre es schön, wenn noch mehr Spezialisten die Möglichkeit hätten, ihr Wissen öffentlich zu teilen, sei es auf Konferenzen oder in Form von Fachartikeln, Podcasts und so weiter. Das scheitert ebenfalls oft am Zeitmangel oder an der fehlenden Unterstützung durch den Arbeitgeber.
Daran sehen wir mal wieder, wie wichtig die Weiterbildung ist. Wir werden das Thema in den nächsten Monaten weiter beleuchten und über die interessantesten Möglichkeiten berichten. Aber für heute erstmal vielen Dank, lieber Eoghan! Ich freue mich schon auf unser nächstes Gespräch.