"Je später man als SEO-Berater in einen Relaunch involviert wird, desto weniger kann man retten" - Eoghan Henn im Interview - LEAP/
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„Je später man als SEO-Berater in einen Relaunch involviert wird, desto weniger kann man retten“ – Eoghan Henn im Interview

Eoghan Henn spricht im Interview über die wichtigsten Schritte und schlimmsten Stolperfallen bei Relaunches.

by Oliver Engelbrecht
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Über Eoghan Henn

Der Name Eoghan ist irisch und wird wie der englische Name Owen ausgesprochen. Wenn du Eoghan triffst, dann solltest du seinen Namen besser richtig aussprechen (er ist zwar eigentlich sehr freundlich, aber in diesem Fall garantiert er sonst für nichts!). Beruflich war er lange als Berater bei rankingCHECK aktiv, bevor er sich 2016 als Mitgründer eines Tools selbstständig machte. Mit searchVIU will er Webmaster dabei unterstützen, Relaunches fehlerfrei durchzuführen.

Wenn du nicht genug von Eoghans Meinungen und Ansichten bekommen kannt, dann solltest du ihm bei Twitter folgen, dich mit ihm bei LinkedIn vernetzen und seinen englischsprachigen Blog Rebelytics bookmarken.

Hallo Eoghan, schön, dass wir uns mal wieder unterhalten. Unser heutiges Gespräch dreht sich um eines deiner Lieblingsthemen: den Relaunch. Was fasziniert dich an dieser Thematik so sehr?

Ganz ehrlich: Es gibt andere Themen, die mich mehr faszinieren, aber der Relaunch hat sich aufgrund meiner Erfahrungen in den letzten Jahren einfach zu einem meiner Spezialgebiete entwickelt. Wenn man jahrelang als SEO-Berater in Agenturen arbeitet, kommt man an dem Thema fast nicht vorbei. Als mir mein jetziger Geschäftspartner und ehemaliger Agenturkollege Michael Weber dann erzählt hat, dass er an einem SEO-Tool für Website-Relaunches arbeitet und mich gefragt hat, ob ich als Mitgründer einsteigen möchte, war ich natürlich sofort begeistert. Und kurz darauf habe ich dann auch festgestellt, dass ich vom Thema Relaunch so schnell wohl nicht mehr wegkomme.

Wie du schon sagst, kommt man in Agenturen kaum am Thema Relaunch vorbei. Einmal, wenn man ihn begleiten soll. Aber leider oft auch, weil er gerade gemacht wurde und daneben gegangen ist. Was sind die schlimmsten Fehler, die dir in deiner Laufbahn bisher begegnet sind – vom Klassiker der vergessenen Weiterleitungen einmal abgesehen?

Eine Geschichte, an die ich mich gern erinnere, war das erste große Relaunch-Projekt, das ich begleitet habe. Damals war ich ein blutiger Anfänger in meinem ersten Agenturjob und habe einen sehr erfahrenen Kollegen bei diesem riesengroßen Relaunch-Projekt unterstützt. Aus Agentur-Sicht war es auch ein fast perfektes Projekt: Wir hatten ein riesiges Budget, haben mit dem Kunden und der betreuenden Web-Agentur auf Augenhöhe kommuniziert und waren schon sehr früh in die Konzeption und Entwicklung der neuen Website involviert.

Das Ergebnis war dann auch eine neue Website, die noch Jahre später aus SEO-Sicht absolut vom Feinsten war. Einen wichtigen Aspekt haben wir allerdings alle vergessen: Der Kunde hat es sich im Rahmen dieses Relaunchs auch zur Aufgabe gemacht, alte Inhalte “auszumisten”. Wir haben dabei den Fehler gemacht, dass wir nicht klar genug kommuniziert haben, dass diese Inhalte natürlich nach dem Relaunch auch keinen organischen Traffic mehr generieren können, wenn sie entfernt werden. Als nach dem Launch der tollen neuen Seite, der auch technisch perfekt verlief, der Traffic dann deutlich einbrach, war das Geschrei natürlich groß.

Wir haben dann mühselig über viele Wochen hinweg eine Aufgabe erledigt, die wir eigentlich vorher schon hätten angehen müssen: Analysieren, welche Inhalte organischen Traffic (und Umsatz) generieren und sicherstellen, dass diese Inhalte auf der neuen Website weiterhin vorhanden sind. Seitdem habe ich eine solche Analyse natürlich immer schon im Vorfeld angefertigt und meinen Kunden quasi verboten, Inhalte, die Traffic generieren, ersatzlos zu streichen. “Ausmisten” sollte also nie bedeuten, dass man einfach alles löscht, was nicht mehr aktuell ist, sondern dass man schaut, wie man die Inhalte, die Traffic generieren, so aktualisiert und optimiert, dass sie sich auf der neuen Website blicken lassen können.

Das ist auf jeden Fall eine Lektion, die man nie mehr vergisst. Aber wie du schon sagst, war das Projekt vom Ansatz her vorbildlich. Gerade, dass man euch frühzeitig involviert hat, kann man ja nicht positiv genug betonen. Denn oft hört man ja die Aussage: “Wir planen gerade einen Relaunch, danach sprechen wir dann mit der SEO-Agentur”. Was entgegnest du solchen Statements?

Je später man als SEO-Berater in einen Relaunch involviert wird, desto weniger kann man retten. Und es ist leider so, dass bei den meisten Relaunch-Projekten wichtige SEO-Aspekte ignoriert werden. Die neue Website muss auf Herz und Nieren geprüft werden. Ein wichtiger Aspekt ist zum Beispiel die Crawlbarkeit und Indexierbarkeit der Website. Wenn in dem Bereich Probleme gefunden werden, kann die Behebung einen großen zusätzlichen Aufwand für die Entwickler bedeuten, der meist weder ins Budget noch in den Zeitplan passt.

Das bedeutet dann leider oft, dass man mit einer halb-optimierten Website online geht und seine SEO-Performance aufs Spiel setzt. Ein weiteres gutes Argument dafür, SEO schon möglichst früh in die Konzeption der Website mit einfließen zu lassen, ist, dass man sich diese Aufwände natürlich später spart. Wer sich ein gutes technisches Fundament schafft, kann später seinen Fokus auf die Erstellung und Verbreitung guter Inhalte legen, anstatt technischen Problemen hinterherzurennen, Audit um Audit einzukaufen und keines davon wirklich umzusetzen, weil das bestehende Website-Konzept die erforderlichen Eingriffe einfach nicht zulässt.

Ich habe diesen Sommer wieder einen Relaunch begleitet, bei dem ich spät eingestiegen bin und mit den meisten meiner Empfehlungen aufgrund von Zeit- und Budget-Engpässen auf Granit gestoßen bin. Wir sind dann mit einem sehr wackligen Konstrukt online gegangen und mit viel Glück ist alles gut gegangen, aber ich hatte einige schlaflose Nächte. Eigentlich sollte ich solche Projekte gar nicht mehr annehmen, denn der Stress ist es wirklich nicht wert.

Wohl wahr, leider muss auf diesem Gebiet noch einiges an Aufklärungsarbeit geleistet werden. Wenn du einmal von der perfekten Ausgangssituation ausgehst, steht und fällt doch sicher vieles mit dem Briefing. Was will der Kunde, was will der Designer, was will der Programmierer und was will der SEO. Hast du ein Patentrezept, um all diese Ansichten unter einen Hut zu bekommen? Denn manchmal muss ja gerade das Design Abstriche machen, um die UX und die Funktionalität nicht zu gefährden.

Ein Patentrezept habe ich leider nicht, obwohl ich natürlich gerne eines hätte. Eine gute UX und Funktionalität stehen der Suchmaschinenoptimierung eigentlich nicht im Wege und auch ein gutes Design sollte mit allen anderen Faktoren Hand in Hand gehen. Ich habe in meiner Karriere sehr selten Diskussionen gehabt, in denen SEO, UX und Design verschiedene Fronten vertreten haben.

Einmal wollte eine Web-Agentur auf einem großen Reiseportal die Hauptnavigation von ca. 50 Menüpunkten auf 5 verschlanken, was aus SEO-Sicht natürlich eine Katastrophe gewesen wäre. Das Hauptargument der Agentur war die Nutzerfreundlichkeit auf Mobilgeräten, was ich aber auch teilweise nachvollziehen konnte. Allerdings ist es auch nicht unbedingt nutzerfreundlich, die meisten Inhalte ausschließlich über die interne Suchfunktion verfügbar zu machen – und für die SEO-Performance ist es definitiv keine gute Idee.

Wir haben dann einen Kompromiss gefunden, indem wir eine zweite Navigationsebene geschaffen haben, auf der die Inhalte, die vorher direkt im Hauptmenü vorhanden waren, weiterhin verlinkt waren. So hat die Web-Agentur ihre superschlanke Hauptnavigation bekommen und wir haben dafür gesorgt, dass wichtige Inhalte für Nutzer und Crawler weiterhin erreichbar waren, auch wenn sie auf der neuen Website eine Ebene tiefer verlinkt waren. Dieser Relaunch ist dann übrigens auch sehr erfolgreich verlaufen.

In deiner Frage hast du die verschiedenen Interessen von Designern, SEOs, UXlern und Programmierern angesprochen. Ich glaube, dass die größte Herausforderung für die meisten SEOs ist, die im Projekt beteiligten Programmierer auf ihre Seite zu bekommen. SEO-Berater haben gerade bei Programmierern einen schlechten Ruf und es kann einiges an Überzeugungsarbeit kosten, sich als SEO bei Programmierern Gehör zu verschaffen.

Wie erklärst du dir denn, wo dieser schlechte Ruf herkommt? Und was tust du persönlich, um Programmierer vom Wert deiner Ideen zu überzeugen?

Ich denke, dass viele Programmierer es schon oft erlebt haben, dass SEO-Berater ihnen erklären wollten, wie sie ihre Arbeit machen sollen, ohne den Eindruck zu erwecken, dass sie viel Ahnung von Webentwicklung haben. Ich musste selbst als Agentur-SEO schon technische SEO-Audits verfassen, ohne auch nur den leisesten Hauch einer Ahnung zu haben. Deswegen versuche ich ständig, mich technisch weiterzubilden und viel von den Programmierern, mit denen ich zusammenarbeite, zu lernen. Wenn man von Entwicklern respektiert werden möchte, vor allem in Situationen, in denen man ihre Arbeit kritisiert und Verbesserungsvorschläge macht, dann sollte man dafür sorgen, dass man genügend Wissen mitbringt, um eine Diskussion auf dem benötigten Level zu führen.

Ja, Wissen hilft bestimmt. Wenn ein Relaunch ansteht, hat man ja oft viele Ideen für Verbesserungen. Oft sind diese auch von den Seiten der Konkurrenz beeinflusst. Zu welchem Grad empfiehlst du, Dinge von Mitbewerbern zu übernehmen. Weil einige Sachen funktionieren fraglos gut – aber man muss ja trotzdem ausreichend Alleinstellungsmerkmale haben.

Ich bin eigentlich gar kein Freund davon davon, Taktiken von der Konkurrenz zu kopieren. Nur weil es alle machen, ist es noch lange nicht gut. Wer es schafft, seinen eigenen Stil zu entwickeln, fährt meistens besser. Natürlich macht es Sinn, sich Konkurrenten und auch andere Branchen anzuschauen, um zu lernen, was möglich ist und was funktioniert, aber wenn man seine eigene Website konzipiert, sollte man aus Überzeugung handeln und nicht einfach das machen, was alle machen. Es macht auch viel mehr Spaß, wenn man neue SEO-Maßnahmen umsetzt und dann ein paar Monate später sieht, dass die Konkurrenz mitzieht, als andersherum.

Aber Spaß beiseite: Ich denke, dass man erfolgreicher sein kann, wenn man auch Mut zur Innovation hat und neue Weg geht, als wenn man immer nur abkupfert. Was nicht heißt, dass man seine Konkurrenz nicht genauestens analysieren sollte.

Das ist sicher die richtige Balance. Und man sollte ja nicht nur die Konkurrenz analysieren, sondern auch die Zielgruppe. Welches Wissen über die Nutzer sollte man deiner Meinung nach unbedingt haben, bevor man sich an einen Relaunch wagt?

Den Möglichkeiten in der Zielgruppenanalyse sind ja keine Grenzen gesetzt! Man sollte soviel Zeit und Budget wie möglich einsetzen, um seine User zu verstehen.

Das Minimum beim Relaunch sollte sein, was ich oben bereits angesprochen habe: Verstehen, welche Inhalte aktuell beliebt sind und diese behalten beziehungsweise verbessern. Außerdem ist es mit wenig Aufwand auch möglich, zu untersuchen, welche Geräte die Zielgruppe verwendet, für welche weiteren Themen sie sich interessiert, oder auf welchen Plattformen sie sich rumtreibt. Alle Daten zur eigenen Zielgruppe, die man in Tools wie Google Analytics zur Verfügung hat, oder die man durch eine einfache Recherche ergattern kann, sollte man nutzen, um auf dem neuen Webauftritt ein möglichst passendes Erlebnis für die Zielgruppe zu schaffen.

Wenn man viel Zeit und Budget zur Verfügung hat, kann und sollte man natürlich noch einen Schritt weitergehen. Man kann Workshops mit Kunden und Nutzern veranstalten, um die alte und neue Website zu testen, oder man kann Feedback einsammeln, analysieren und in die Konzeption mit einfließen lassen.

Diese Daten über die Nutzer kann man ja sehr gut über einen langen Zeitraum erheben und zum Beispiel durch A/B-Tests herausfinden, was den Besuchern am besten gefällt. Wie siehst du das Vorgehen, eine Website lieber anhand solcher Tests kontinuierlich weiterzuentwickeln, anstatt einen großen Relaunch zu machen? Natürlich gibt es Seiten, die noch so alt sind, dass sie einen Relaunch brauchen. Aber wäre es allgemein nicht besser, kontinuierliche Verbesserungen vorzunehmen, anstatt alle 5 Jahre etwas ganz neues zu erstellen?

Ja, da bin ich absolut deiner Meinung: Ein Relaunch in dem Sinn, dass man alles plattmacht und komplett neu aufbaut, ist ja eigentlich Harakiri. Besser wäre es, seinen Webauftritt kontinuierlich zu verbessern und Änderungen isolierter durchzuführen.

So minimiert man das Risiko von Fehlentwicklungen und kann negativen Trends schneller und einfacher entgegenwirken. Einige Unternehmen machen es sogar inzwischen so, dass sie Änderungen, wann immer möglich, erst mit einem Teil des Traffics testen, bevor sie komplett ausgerollt werden. Für Suchmaschinenbots ist es natürlich deutlich schwieriger, so einen Test zu gestalten, weil man sie nicht wie Nutzer auf verschiedene Versionen aufteilen kann. Die Nutzersignale, die man bei solchen Tests sammeln kann, lassen jedoch auch schon in Teilen darauf schließen, wie die Änderungen sich auf die SEO-Performance auswirken werden.

Vielleicht wird es sich tatsächlich so entwickeln, dass die Zahl der Relaunch-Projekte, bei denen die alte Website komplett eingestampft und durch eine neue Website ersetzt wird, abnimmt. Für das Stresslevel der meisten SEO-Berater wäre das auf jeden Fall wünschenswert.

Das ist definitiv ein Wort zum Sonntag. Vielen Dank für das Gespräch, lieber Eoghan, und wir unterhalten uns im nächsten Quartal wieder.

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Oliver Engelbrecht

Ich bin bei LEAP/ für Marketing & Communications zuständig und verantworte damit die Lead-Generierung und das Branding der Agentur. Zudem leite ich unser LEAP/ Magazin als Chefredakteur. Zuvor habe ich das SEO-Portal aufgebaut und geleitet.