Hi, Caroline und willkommen bei LEAP/. Du hast ja einen wirklich spannenden Werdegang hinter dir. Es verschlägt ziemlich oft studierte Geisteswissenschaftler in die schreibende Zunft (ich bin auch so einer). Wie erklärst du dir das?
Ich bin ja noch die Generation „Magister Artium“ – also die Zeit an deutschen Unis, bevor Bachelor und Master eingeführt wurden. Wir mussten sehr weite Felder zielgerichtet recherchieren, um Hausarbeiten zu schreiben. Das konnte nicht jeder. Aber mir lag das: Breit recherchieren, dann wieder zusammenführen und die Essenz des Ganzen in Worte fassen. Die Vorgehensweise deutscher Wissenschaftler beschreiben Engländer so: „The Germans dive deeper and come up muddier.“ Ich habe aus dem Matsch dann schöne sprachliche Sandburgen gebaut.
Und das macht ja tatsächlich Spaß. Du hast in unserer Academy einige spannende Dinge gesagt, mir ist vor allem deine Empörung über Rechtschreibfehler in Erinnerung geblieben. Magst du zu dem Thema einmal ganz kurz ausholen?
Empört war ich nur, um die Präsentation lebendiger zu machen. Im Grunde finde ich es schade, wenn man als Leser über typografische oder Rechtschreibfehler stolpert und deshalb (möglicherweise, im härtesten Fall) die Sorgfalt oder das Können des Autors in Frage stellt. Meine Beispiele waren aus diversen Facebook-Postings gewählt, die auf die Produktseite eines Online-Shops (Musikalbum) bzw. eine Buchungsseite eines Restaurants locken sollten. Über das falsche Apostroph in diesen Postings stolpere ich schon visuell. Ein accent grave ` oder accent aigu ´ statt eines korrekten Apostrophs ’ sieht in meinen Augen nicht nur hässlich aus, sondern ich lese bzw. interagiere nicht weiter mit dem Text.
Ich konvertiere nicht, weil mein grundlegendes „Sicherheitsbedürfnis“ in Bezug auf das Wissen und Können desjenigen, der dort schreibt, nicht befriedigt wird. Bei einem Restaurant ist mir die Rechtschreibung nicht so wichtig (ich klicke trotzdem, wenn ich mir die Speisekarte anschauen möchte; der Service und das Können des Kochs haben hier mehr Bedeutung). Bei einem Unternehmen aus der Kulturbranche (Plattenlabel) frage ich mich aber schon, warum die nicht in der Schule aufgepasst haben.
Ein anderes Beispiel waren Gedankenstriche, die anstatt eines Halbgeviertstriches – einem solchen langen Gedankenstrich als kurze Bindestriche – also so – daher kamen. Mir fällt das sofort ins Auge. Die Facebook-Posts von rbb-Inforadio benutzen fröhlich beides: kurz, lang, auch gemischt innerhalb eines Texts. Gruselig. Dabei haben sie als öffentlich-rechtlicher Sender einen Bildungsauftrag. Wie soll ich denen denn trauen, dass sie Informationen gründlich recherchieren, wenn sie noch nicht einmal Bindestriche von Gedankenstrichen unterscheiden können? Ok. Ich bin doch empört. Dafür habe ich nur ganz kurz ausgeholt. *lacht*
Du hast ja auch recht. Ich bin mir zwar bei einigen Sachen im Alltag auch mal unsicher, aber in unserer Branche kommen eine gute Rechtschreibung und Grammatik leider oft zu kurz. Was rätst du Unternehmen, die in dieser Hinsicht Probleme haben? Jemanden einstellen? Externen Sachverstand holen? Oder jemanden aus dem Unternehmen weiterbilden?
Es gibt so viele Möglichkeiten. Dafür ist natürlich wichtig, dass irgendwer im Unternehmen empfänglich für das Thema ist. Hilfsmittel gibt es viele. Duden online. Oder Duden, das gedruckte Buch (der gelbe Band 1 Die deutsche Rechtschreibung). Wenigstens der eine Mensch im Unternehmen, der sensibel für das Thema ist, sollte Nachschlagewerke regelmäßig konsultieren. Das dünne Büchlein Duden: Ratgeber Zeichensetzung nutze ich in der jeweils aktuellen Version schon seit 35 Jahren. Man muss ja nicht alles wissen, aber wissen, wo man es nachschauen kann.
Und für wichtige Texte holt man sich am besten ein professionelles externes Lektorat. (Meine Frage wäre dann allerdings: Was sind unwichtige Texte und warum schreibt man die überhaupt?) Es ist leider relativ schwierig, alle Mitarbeiter im Unternehmen in Rechtschreibung bzw. Textsensibilität zu schulen. Das Thema ist nicht unbedingt ‚sexy‘ bzw. ansprechend zu vermitteln. Dann lieber die Leute fortbilden, die von sich aus Perfektionisten sind oder sich für gute Texte begeistern.
Viel wichtiger ist die Frage, wie man die Unternehmensleitung dazu bringt, gute Rechtschreibung und dann in einer nächsten Stufe bessere Texte zu wollen. Ein korrekter Text ist ja lange noch kein guter Text. Über Rechtschreibregeln lässt sich nicht streiten, über die Schönheit oder den Stil von Texten sehr.
Wenn du es schon ansprichst: Wie definierst du denn einen schönen Text? Und was darf in einem solchen auf gar keinen Fall vorkommen (von den Rechtschreibfehlern einmal abgesehen)?
In meiner Präsentation habe ich die schlechte Rechtschreibung ja mit einem Türsteher verglichen, der verhindert, dass ich den Club (das Universum Text) betrete. Ist die Rechtschreibung gut und ich gehe in den Club, dann sind da lauter Menschen (einzelne Texte). Die Wahrnehmung von Texten ist ebenso individuell wie die anderer Menschen. Ich nehme einen Text/einen Mensch als schön wahr, der anderen nicht auffällt oder gefällt. Er muss zu mir und meinem momentan Bedürfnis an einen Text (oder Menschen) passen. Bleiben wir beim Text: Der Text hat ein Ziel und eine Zielgruppe. Wenn ich zur Zielgruppe gehöre und den Text als stimmig und passend für mich wahrnehme, dann hat der Autor alles richtig gemacht.
Die Passgenauigkeit und Schönheit hängt auf einer ersten Ebene von Wortwahl sowie Rhythmus und Flow der Syntax ab (also wie lang oder kurz die Sätze sind, wie sich längere und kürzere Sätze abwechseln). Wortwahl, Rhythmus und Flow sind bestenfalls im Briefing durch die Tonalität festgelegt. Das bedeutet übrigens auf Texter- und Marketingpraxis bezogen, dass der Auftraggeber die Tonalität nicht nur benennt („inspirierend, seriös, informativ“), sondern dem Autor auch konkrete Beispiele für diesen Ton an die Hand gibt.
Auf einer zweiten Ebene müssen die Inhalte für die Zielgruppe passen. Und drittens muss die Struktur klar oder zumindest nachvollziehbar sein, damit der Leser sich im Text zurechtfindet. Damit meine ich Überschriften, Absatzlänge, zusätzliche Elemente wie Listen, Infoboxen, Abbildungen, Fotos usw. Unschön wird ein Text immer dann, wenn es einen Bruch gibt. Also wenn beispielsweise ein Wort oder ganze Sätze mit einem Mal auffällig aus Rhythmus, Flow, Tonalität oder Inhalt herausstechen.
Du hast das Thema Briefing ja schon angeschnitten. Wir hatten in der Academy die Diskussion, ob man Texter ausführlich briefen soll, oder ob man damit nicht ihre Kreativität beschneidet. Auf welcher Seite dieses Spektrums findest du dich wieder?
Wenn ich mich auf einem Gebiet gut auskenne, komme ich auch mit wenigen Vorgaben gut klar. Aber ein klar abgestecktes Feld gibt mir persönlich Sicherheit. Darauf kann ich mich immer noch kreativ austoben. Ein virtuoser Fußballprofi spielt ja nicht nur zuhause mit seinen Kindern inspirierten und kreativen Fußball, sondern gerade auch auf dem großen Stadionrasen nach FIFA-Regeln. Das bedeutet: Einem Text-Profi machen Regeln nichts aus.
Außerdem sichert ein Briefing den Autor ab: Wenn von Kunden-/Auftraggeberseite kommt „Der Text gefällt mir so aber noch nicht.“ sollte es möglichst objektive Kriterien geben, ob der Auftrag erfüllt wurde oder nicht. Ich schrieb einst einen Text für eine PR-Zeitschrift mit dem Briefing: „5.000 Wörter, Präsentationstipps“. Zum Glück fanden sie meinen Text gut. Aber woran hätten wir festgemacht, wenn sie was auszusetzen gehabt hätten? Wenn bestimmte Aspekte unbedingt vom Texter beachtet werden müssen, dann sollte das auch vorher festgelegt werden.
Was würdest du denn in solchen Fällen tun? Ich sollte zum Beispiel einmal total viele Kategorietexte für einen Taschen-Shop schreiben. Ein Briefing gab es nicht, dafür nach tausenden von Wörtern die Rückmeldung: „Das finden wir nicht weiblich genug“. Was macht man als Texter da (außer in die Tischkante zu beißen)?
Wir machen mit unseren Kunden bei TripsByTips Testrunden, d. h. es werden erst einmal nur zwei oder drei Texte geschrieben. Erst wenn die abgesegnet sind, geht es weiter. Das rate ich allen Autoren. Wenn die Texte noch nicht passen, dann muss man am Briefing schrauben oder eben Beispiele geben. Bei dir wäre die Frage gewesen: An welchen Stellen liest sich das nicht weiblich genug? Was wären bessere (Beispiel-)Formulierungen? Oder lag es an den Inhalten: Welche Attribute/Features der Produkte dieser Kategorie sollen immer genannt werden, weil sie eine weibliche Zielgruppe interessieren? Wie bei der vorherigen Antwort geschrieben: Ein paar Vorgaben helfen.
Auf jeden Fall. Ich habe es mir dann einfacher gemacht und das Thema an eine Kollegin abgegeben. Mal ein ganz anderes Thema. Immer häufiger werden Texte auch automatisch erstellt, die KI macht hier große Fortschritte. Wie stehst du dazu? Ich finde es, gerade bei Dingen wie Produktbeschreibungen oder Meta Descriptions eigentlich eine gute Sache.
Mir sind automatisch erstellte Texte sympathisch. Das gleiche Sofa mit fünf verschiedenen Texten für die weiße, schwarze, graue, blaue und rote Variante zu versehen, ist grausame Arbeit für Texter. Das kann eine Maschine besser variieren. Bei Meta-Descriptions sehe ich das genau so. Wenn du natürlich einen super individuellen Produkttext für ein Premiumprodukt hast, dann sollten auch noch die paar Minuten drin sein, die der Texter für eine einzigartige Description braucht. Durch die Unterstützung der Maschine bleibt für Texte, bei denen es wichtig ist, dass Menschen für Menschen schreiben, mehr Zeit. Wenn die KI irgendwann den menschlichen Autor komplett ersetzt, mache ich mir immer noch keine Sorgen. Dann sattle ich beruflich noch einmal um.
Hältst du es denn für realistisch, dass eine KI das in den nächsten Jahren leisten wird? Und wenn ja, was ist dein Ausweichberuf?
Wenn ich sehe, wie gut Google hochwertige Texte versteht, die glücklicherweise nicht mehr nach dem Aspekt Keyworddichte, sondern mit hohem Leseranspruch geschrieben sind, dann glaube ich das. Allerdings habe ich in letzter Zeit bewusst keine maschinell geschriebenen Texte mehr gelesen und weiß daher nicht, wie sie sich in den letzten vier Jahren entwickelt haben. Aber hey – als ich beruflich mit dem Lektorieren und Schreiben anfing, nutzte außer mir noch niemand in meinem beruflichen Umfeld das Internet. Daher habe ich einen ziemlich großen Fortschrittsglauben.
Wenn ich mich den Schritt traue, dann eröffne ich einen Woll-Handel: Vom Schaf auf die (Strick-) Nadel, komplett in Deutschland produzierte Wolle, d. h. von Schafen, die in Deutschland aufwachsen und hier ein schöneres Leben haben als beispielsweise in Australien. Das ist ein sehr erfolgreiches Konzept in einigen Ländern (USA, England, Frankreich, Portugal). Nur in Deutschland ist dieser Trend kaum relevant und viele Wanderschäfer müssen aufgeben. Interessanterweise hat sich noch kein Online-Marketer, den ich kenne, mit Ravelry-Marketing befasst ^^ (Wenn doch, dann bitte bei mir melden.) Auf Ravelry bekommt man jede Menge Input für die von Karl Kratz hochgelobten „alternativen Verkaufssysteme“. Ravelry ist sowieso total geil. Sieht aus wie Internetforum anno 1998, aber kann unheimlich viel. Wir können uns gerne mal bei einem SEO-Stammtisch darüber unterhalten. Oder ich mache eine Session auf der nächsten SEO-Campixx.
In eurer Familie scheint es ja ein Faible dafür zu geben, das Online-Marketing-Wissen in spannenden Nischen anzuwenden. Helft ihr euch da auch gegenseitig? Also gibt dir Borris Tipps für Local-SEO oder schreibst du Texte für ihn?
Weniger Local SEO. Eher SEO allgemein. Bisher war das ja noch nicht so relevant für mich. Und klar schreibe ich Texte für Borris. Also manchmal. Viel zu selten, wenn du ihn fragst. Ich glaube, manche Leute, die uns morgens in der S-Bahn zuhören, denken, wir sprechen irgendeine Geheimsprache.
Liebe Caroline, vielen Dank für die spannenden Antworten und einen tollen Nachmittag in unserer Academy!