Hi Berk und willkommen bei LEAP/. Wie kommt es, dass eine Lebensmittelfirma so aktiv in der digitalen Welt ist. Was ist der Antrieb, sich hier zu positionieren?
Wir haben viele disruptive Eingriffe aus der digitalen Welt erlebt. Ein schönes Beispiel ist die Britannica Encyclopedia: Deren Herausgeber waren beim Aufkommen des Internets nicht besorgt, da sie dachten, dass ihre Bücher weiterhin als Statussymbol verkauft werden würden – auch, wenn es ähnliche Informationen im Netz gibt. Damit hatten sie Unrecht.
Lebensmittelfirmen geht es ganz ähnlich. Von außen sehen wir vielleicht wie ein traditionelles Unternehmen aus: Kühe geben Milch, wir verpacken und verkaufen sie. Aber auch diese Branche ist sehr offen für digitale Disruptionen. Stelle dir vor, jemand baut einer Uber-ähnliche Plattform, die Milch und Joghurt täglich vom Bauern direkt an deine Haustür liefert.
Und auch darüber hinaus wird der Markt jeden Tag digitaler. Wir haben 15.000 Leute, die für uns überall auf der Welt Geschäfte besuchen und mit digitalen Endgeräten Bestellungen aufgeben. Dadurch haben wir einzigartige Einblicke in den Markt und können schnell auf Veränderungen reagieren. Geschwindigkeit ist alles. Und je schneller man reagiert, desto mehr kann man gewinnen. Daher müssen wir sicherstellen, dass wir immer den Markt verstehen und der Konkurrenz sowie potentiellen Disruptoren einen Schritt voraus sind.
Da du an so vielen spannenden Orten gelebt hast: Was unterscheidet Europa im Hinblick auf die Digitalisierung von Zentren wie New York oder Moskau? Weil wir ja oft hören, dass uns andere Kontinente hier deutlich voraus sind.
Sehr gute Frage. Europa hat eine tolle Basis für Prozesse, Produktivität und Arbeitsprozesse. Aber es gibt hier auch einen großen Widerstand gegen Veränderungen. Ich glaube, Menschen und Firmen wollen Dinge hier einmal richtig machen und dann so lassen.
In Asien oder den USA gibt es viel mehr Raum für Experimente. Sie sehen eine Idee und testen sie direkt. Wird sie nicht validiert, geht es auf zur nächsten. Wird sie validiert, dann wird sie ausgebaut und verbessert. Europa ist viel konservativer, wenn es um Experimente geht. Für sämtliche Projekte brauchst du einen Business-Case, einen detaillierten Plan für die nächsten Jahre, eine Struktur, Lenkungsausschüsse usw. Das macht uns langsam.
Im Moment merken die meisten europäischen Unternehmen, dass sie Start-Up-Inkubatoren starten müssen. Hier können die Mitarbeiter so vorgehen, als wären sie in einem Start-Up-Experiment. Bei FrieslandCampina haben wir auch einen Inkubator – wir nennen ihn Milkubator.
Ich habe den Vorschlag gehört, dass Inkubatoren unbedingt außerhalb der Unternehmenshierarchien platziert werden müssen – sonst werden sie nicht lange laufen. Wie geht ihr mit diesen Themen um: Also Innovationsfreiheit garantieren, aber auch euren Firmenstempel aufdrücken?
Unsere Inkubatoren sind komplett unabhängig von den Hierarchien. Sie müssen nur immer mal wieder ihre Pläne dem hohen Management vorstellen, um mehr Funding zu erhalten. Das ist dann so, als würden Start-Ups an VCs pitchen. Wir haben auch einen Partner, der ihnen vorher die Arbeitsweisen von Start-Ups beibringt. Und sie sitzen in einem eigenen Gebäude.
Sobald Mitarbeiter also in einem Start-Up sitzen, verlieren sie ihre FrieslandCampina-Identität und werden zu Angestellten des Start-Ups. Ihre Produkte, Einheiten und ressourcen sind ebenso komplett unabhängig. Die Ausnahme ist, wenn sie ein wirklich großes Problem wie die Produktentwicklung lösen müssen. Hier kommt dann unser R&D Department ins Spiel und hilft ihnen.
Aber wir haben auch einen Milkubator, der Studenten auf Fahrrädern als Lieferanten angestellt hat, weil sie das Lieferantennetzwerk des Mutterkonzerns nicht wollten.
Da baut ihr ja wirklich eine unabhängige Kultur auf. Da du dich ja mit den drängendsten Themen der Digitalisierung beschäftigst, interessiert mich, wie du die langfristig wichtigen Themen von den Eintagsfliegen unterscheidest. Wenn Firmen viel Geld investieren oder du viel Zeit aufbringst, soll es sich ja auch lohnen.
Wir haben eine Lenkungskommission, die sich aus verschiedenen Disziplinen zusammensetzt (z.B. unserem CIO und den Direktoren. Diese schaut sich alle Ideen an und entscheidet, ob es Funding gibt oder nicht.
Wir verfolgen eigentlich nur die Fortschritte in den Milkubatoren, denn nicht alle Ideen haben mit der digitalen Welt zu tun. Manche drehen sich auch um Produktinnovationen oder neue Wege, um Dinge an den Markt zu bringen. Uns ist wichtig, dass wir die Ideen auswählen, die unsere Firma am ehesten voranbringen.
Wenn es darum geht, auf der digitalen Spielwiese zu experimentieren, haben wir auch andere Wege. Hier gibt es z.B. kleine Budgets für Pilotprojekte oder kostenlose Proof of Concept mit Verkäufern. Am Ende müssen wir denke ich dafür sorgen, dass wir der Firma die richtigen Fähigkeiten zur Verfügung stellen.
Bei meinen eigenen Experimenten geht es vor allem um die Ausrichtung. Wir bekommen Feedback von Geschäftskunden, Kunden und Konsumenten. Dabei validieren wir, ob unsere originalen Annahmen richtig waren und ob wir der Firma einen Nutzen bringen (das bedeutet, jedes Mal einen Excel-Sheet anzulegen, in dem wir verschiedene Aspekte des Projekts evaluieren). Danach erstellen wir ein Investment-Proposal.
Wann hast du angefangen, dich für die Blockchain zu interessieren? Das ist ja aktuell ein wirkliches Buzzword, aber nur die wenigsten wissen, wie sie die Technologie im täglichen Leben nutzen können. Was ist hier dein Ansatz?
Ich wollte vor zwei Jahren in Kryptowährungen investieren und habe damit angefangen, mich für die Blockchain zu interessieren. Denn bevor ich investierte, wollte ich die technik dahinter verstehen. Ich habe dann gesehen, wie simpel und sicher das ganze ist – und habe angefangen, mehr zu lesen. Das hat mir irgendwann die Chance gegeben, in der Firma zum Blockchain-Advocate zu werden – neben dem Geld, das ich mit den Kryptowährungen verdient habe.
Aber du hast Recht: Es ist aktuell ein Buzzword. Vor allem während der starken Preiszunahmen für Bitcoin haben uns viele Unternehmen zu dem Thema angesprochen. Viele taten so, als wäre die Blockchain die silberne Pistolenkugel, die all’ unsere Probleme lösen wird. Das ist sie aber momentan nicht.
Aktuell gibt es nur wenige Applikationen für die Blockchain und viele Pilotprojekte, von denen wir nicht wissen, wie erfolgreich sie sein werden. Wir wissen auch nicht, wann sie unser Leben beeinflussen werden. ich glaube aber, dass die Blockchain – ebenso wie das Internet – irgendwann unser Leben auf vielen Wegen verändern wird.
Über das Thema werde ich auf einigen Konferenzen sprechen, aber in Frankfurt geht es um ein anderes Thema.
Genau, dort sprichst du über die Implementierung von internationalen Apps. Was sind die größten Hürden, wenn ein Unternehmen eine App in mehreren Ländern ausrollen will?
Es gibt viele Herausforderungen (und natürlich auch viele Vorteile), wenn man eine App in mehreren Ländern ausrollt.
Zunächst einmal hat jedes Land (egal, wie zentralisiert die Prozesse sind) einen gewissen Freiraum neben den zentralisierten Prozessen. Das liegt an den jeweiligen Eigenschaften der Kultur, der Regulierungen und des Marktes. Eine Software, die all’ diesen Abweichungen mit einer Code-Base gerecht werden soll, ist immer eine Herausforderung. Das verkompliziert die Dinge natürlich.
Zudem gibt es verschiedene Kulturen mit unterschiedlich ausgeprägten Widerständen gegen Veränderungen. Man braucht also ein gut organisiertes Change-Management – sonst hat man am Ende eine Software, die keiner kennt oder die niemand nutzen will.
Außerdem geht es darum, diese Tatsachen in Vorteile zu verwandeln. Wenn man eine Software in vielen Ländern ausrollt, muss man auch sicherstellen, dass man damit etwas zurückerhält. Zum Beispiel, dass man schnell Innovationen aus einem Land in die anderen Märkte skaliert, Reportings streamlined oder eine Starke Verhandlungsposition für Gespräche mit Verkäufern konsolidiert. Das sind zwar alles Vorteile – es benötigt aber viel Arbeit, um sie in die Tat umzusetzen.
Hast du Tipps parat, um die größten Stolperfallen in diesem Bereich zu umgehen? Es hilft sicher, viele Leute aus den jeweiligen Ländern im Team zu haben, oder?
Das hilft natürlich, ist aber nicht immer möglich. Denn auch Teams, die aus sieben oder acht Nationen bestehen, bringen Herausforderungen mit sich. Wichtig ist, dass man eine gute Kommunikation mit den lokalen Teams sicherstellt, ihre Kultur versteht und ihre Probleme richtig angeht.
Wir haben immer ein zentrales Experten-Team, das mit den lokalen Teams zusammenarbeitet. So stellen wir sicher, das sowohl die technische als auch die kulturelle Komponente abgedeckt sind.
Je nach Zielland ist es auch wichtig, dass die zentralen Interaktionen von Angesicht zu Angesicht stattfinden. In Südostasien ist es zum Beispiel schwer, Dinge aus der Distanz zu lösen. Denn die relevantesten Unterhaltungen finden hier in den Kaffeepausen, beim Essen und bei sozialen Interaktionen statt – und dieses Vorgehen ist den Menschen auch sehr wichtig.
Kannst du uns eine Best Practice an die Hand geben, um eine internationale App zu planen, zu launchen und zu monitoren?
Klar, zuerst braucht man einen guten Plan. Und der Plan muss mit den lokalen Operations Hand in Hand gehen. Man merkt immer, dass manche schon weiter sind als andere, die vielleicht etwas mehr Zeit zur Vorbereitung benötigen. Das muss bei der Erstellung des Projektplans alles bedacht werden.
Danach muss man sehen, welche Aspekte der App man zentralisieren kann und welche Prozesse ähnlich sind oder angeglichen werden können. Hierfür veranstalten wir immer einen Workshop mit allen beteiligten Ländern. Diese teilen dann ihre Prozesse und wir ermutigen sie, sich der Einfachheit halber anzugleichen. Wir werden dabei nie 100 % erreichen – aber je einfacher, desto besser.
Dann geht es darum, sowohl lokal als auch zental die passenden Ressourcen bereitzustellen und Zeiten für die Rollouts festzulegen. Selbst ein normales Software-Update kann einige zeit dauern, da die Nutzer oft ihre Arbeitsweisen ändern und dafür angelernt werden müssen. Wenn die Nutzer das Produkt nicht annehmen, war der Rollout kein Erfolg.
Nach dem Rollout wird es immer Überraschungen geben. Eine App, die im Wartungsmodus perfekt monatelang funktioniert hat, kann nach dem Start einfach zusammenbrechen. Deshalb braucht man immer einen Desasterplan mit einer entsprechenden Timeline.
Und zu guter Letzt sollte jedes Projekt auch als Chance für die weitere Verbesserung gesehen werden. Wenn alles fertig ist, muss man Feedback der Nutzer einsammeln und dann die Funktionalitäten entsprechend anpassen.
Das ist wirklich wichtig. Wie stellt ihr sicher, dass ihr sowohl qualitativ als auch quantitativ gutes Feedback von euren Nutzern erhaltet?
Je nach Zielmarkt ist es manchmal schwer, viel Feedback zu erhalten. Ich bin kein Freund von Fragen wie “Wie sehr magst du dieses Feature auf einer Skala von 1 – 10?”.
Ich habe lieber ehrliche Unterhaltungen mit zentralen Nutzern. manche von ihnen melden sich ganz von selbst und teilen und Beschwerden oder Wünsche mit. Bei anderen muss man zur richtigen Zeit die passenden Fragen stellen und ihnen dann zuhören.
Wir sollten keine JA/NEIN Fragen stellen, in denen wir schon etwas vorgeben. Es ist immer besser, den Nutzern eine andere perspektive zu geben und ihre Meinung anzuhören. Bei einer App für Kunden kann man z.B. fragen: “Wenn du einer deiner Kunden wärst und jemand käme mit der App auf dich zu – was denkst du würde deine Meinung beeinflussen und dir bei einer Entscheidung helfen?”.
In den Unternehmen gibt es außerdem verschiedene Ebenen, aus denen man Feedback einholen muss. Zentrale Nutzer sind sehr wichtig, um eine gute Nutzererfahrung mit mit der App zu gewährleisten. Aber man muss auch mit lokalen Management sprechen, um deren Prioritäten zu verstehen und dann entsprechend zu handeln.
Lieber Berk, vielen Dank für die tollen Einblicke in deinen Arbeitsalltag.